Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ihr wahrer Name

Ihr wahrer Name

Titel: Ihr wahrer Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
Vom Netzwerk:
ist klar, daß ich mit ihm sprechen muß. Ob ich möchte, daß du Nachforschungen über ihn anstellst? Nein, ich will nicht, daß du in seine Nähe kommst. Aber bitte spür ihn für mich auf, damit ich mich mit ihm unterhalten kann. Und du, du... was du tun könntest: Du könntest versuchen herauszufinden, welches Dokument ihn davon überzeugt hat, daß sein richtiger Name Paul Radbuka ist.« Spät in jener Nacht gingen mir ihre unglücklichen, widersprüchlichen Worte nicht aus dem Kopf. Irgendwann nach zwei schlief ich schließlich ein, aber in meinen Träumen wurde ich so lange von Bull Durham gejagt, bis ich schließlich zusammen mit Paul Radbuka in Theresienstadt landete, wo Lotty mich vom anderen Ende des Stacheldrahtzauns aus mit gequältem Blick beobachtete. »Laß ihn dort bei den Toten«, rief sie.

Lotty Herschels Geschichte: Englischunterricht
    Das Schuljahr dauerte noch drei Wochen, als Hugo und ich in London ankamen, aber Minna hielt es nicht für der Mühe wert, mich anzumelden, weil ich aufgrund meiner mangelnden Englischkenntnisse sowieso nichts verstand.- Sie wies mich an, Dinge im Haus und später in der Nachbarschaft zu erledigen: Zum Beispiel notierte sie mir in englischer Sprache auf einen Zettel, was einzukaufen war. Dabei buchstabierte sie leise jedes Wort - falsch, wie ich merkte, als ich schließlich selbst Englisch lesen und schreiben lernte. Dann gab sie mir ein Pfund und schickte mich zu dem Laden an der Ecke, wo ich ein Kotelett, ein paar Kartoffeln und einen Laib Brot fürs Abendessen holen sollte. Wenn sie von der Arbeit nach Hause kam, zählte sie das Wechselgeld zweimal, um sicher zu sein, daß ich nichts für mich abgezweigt hatte. Aber sie gab mir auch eine Sixpence-Münze Taschengeld pro Woche.
    Hugo, den ich immer sonntags sah, plapperte bereits Englisch. Ich schämte mich, denn obwohl ich die größere von uns beiden war, konnte ich die Fremdsprache noch nicht, weil Minna mich hinter einer Mauer aus Deutsch gefangenhielt. Sie hoffte, mich so bald wie möglich nach Wien zurückschicken zu können. »Warum deine Zeit mit Englisch vergeuden, wenn du vielleicht schon morgen früh zurückfährst?«
    Als sie das das erste Mal sagte, setzte mein Herz einen Schlag aus. »Haben Mutti und Oma dir geschrieben? Kann ich nach Hause?«
    »Nein, ich habe nichts von Madame Butterfly gehört«, fauchte Minna mich an. »Sie wird sich schon irgendwann wieder an dich erinnern.«
    Mutti hatte mich vergessen. Diese Erkenntnis traf mich wie ein Faustschlag. Ein Jahr später, als ich dann Englisch lesen konnte, hatte ich nur Verachtung übrig für die Kinderbücher mit ihren zuckersüßen Müttern und Kindern, die wir in der Schule bekamen. »Meine Mutter würde mich nie vergessen. Sie liebt mich, obwohl sie weit weg ist, und ich bete jeden Abend, sie wiederzusehen, genau wie ich weiß, daß auch sie für mich betet und über mich wacht.« Das war das, was die Mädchen in Good Wives or English Orpbans trotzig mit ihrer zitternden Kleinmädchenstimme zu Cousine Minna gesagt hätten. Aber diese kleinen Mädchen hatten keine Ahnung vom Leben.
    Deine eigene Mutter liegt im Bett, zu erschöpft, um dich mit einem Kuß zu verabschieden, wenn du zum Zug mußt und deine Stadt, dein Zuhause, deine Mutti und Oma verläßt. Männer in Uniform halten dich auf, schauen in deinen Koffer, tasten mit ihren großen häßlichen Händen deine Unterwäsche ab und deine Lieblingspuppe. Sie können dir deine Sachen abnehmen, wenn sie wollen, und deine Mutter liegt im Bett und hindert sie nicht daran.
    Natürlich kannte ich die Wahrheit, wußte, daß nur Hugo und ich Visa und Reisegenehmigungen bekommen konnten, daß Erwachsene nur dann nach England durften, wenn jemand in England ihnen einen Job garantierte. Ich kannte die Wahrheit, daß die Nazis uns haßten, weil wir Juden waren. Deshalb nahmen sie Opa die Wohnung mit einem Schlafzimmer weg: Nun schlief eine fremde Frau mit ihrem blonden Kind in meinem weißen Himmelbett - ich war eines Morgens ganz früh zu Fuß zu dem Haus gegangen, an dem jetzt ein kleines Schild angebracht war: Juden unerwünscht. Ich wußte diese Dinge, wußte, daß meine Mama Hunger hatte wie wir alle, aber für ein Kind haben die Eltern so viel Macht. Ich hoffte immer noch, daß meine Eltern, mein Opa sich wehren würden und alles wieder so wäre wie früher.
    Als Minna sagte, meine Mutter würde sich schon an mich erinnern, drückte sie meine schlimmsten Ängste aus. Ich war weggeschickt worden,

Weitere Kostenlose Bücher