Ihr wahrer Name
Interview mit ihm machen, aber er ist der Meinung, daß er uns nicht vertrauen kann.« »Verdammter Mist«, sagte ich. »Das heißt, ich habe nach wie vor keine Ahnung, wie ich ihn finden soll. Es sei denn, ich treibe das Taxi auf, mit dem er gefahren ist.«
»Hat er oben im Arbeitszimmer irgendwas gesagt?« fragte Lotty. »Etwas darüber, wie er auf die Idee kommt, daß sein Name Radbuka ist?«
Ich war so müde, daß ich mich an Morrell lehnen mußte. »Nur wieder dieses Gefasel von den mysteriösen Dokumenten seines Vaters. Ziehvaters. Und daß sie Ulfs Mitgliedschaft bei den Einsatzgruppen beweisen.«
»Was ist denn das?« fragte Agnes mit besorgtem Blick.
»Spezialeinheiten, die während des Krieges in Osteuropa besondere Greueltaten verübt haben«, sagte Max nur. »Lotty, da es dir jetzt wieder bessergeht, würde ich dich gern etwas fragen: Wer ist Sofie Radbuka? Der Mann heute abend hat gesagt, er habe den Namen im Internet gefunden, aber ich glaube, du solltest mir und auch Vic erklären, warum er eine solche Wirkung auf dich hatte.« »Das habe ich Vic schon gesagt«, erwiderte Lotty. »Ich habe ihr erzählt, daß die Radbukas eine der Familien waren, nach denen du dich für unsere Gruppe von Freunden in London erkundigt hast.« Eigentlich hatte ich Morrell bitten wollen, mit mir nach Hause zu fahren, aber jetzt war ich neugierig, was Lotty Max antworten würde. »Könnten wir uns setzen?« fragte ich Max. »Ich falle gleich um vor Müdigkeit.«
»Aber natürlich.« Max dirigierte uns ins Wohnzimmer, wo Carl und Michael immer noch in ihre Musik vertieft waren.
Michael sah zu uns herüber und sagte zu Carl, sie könnten das Problem während des Fluges nach Los Angeles weiter diskutieren. Dann setzte er sich neben Agnes. Ich stellte mir Michael auf einem Sitz im Flugzeug vor, das Cello zwischen den Knien, immer wieder dieselben zwölf Takte spielend, während Carl sie in unterschiedlichem Tempo auf seiner Klarinette blies.
»Du hast noch nichts gegessen, stimmt's?« sagte Morrell zu mir. »Ich hol' dir was, dann geht's dir gleich besser.«
»Was, du hast noch nichts gegessen?« rief Max aus. »Das Chaos hier hat mich meine gute Kinderstube vergessen lassen.«
Er schickte einen der Kellner in die Küche, um ein Tablett mit Essen und Drinks zu holen. »So, Lotty, jetzt bist du dran. Ich habe deine Privatsphäre immer geachtet und werde es auch weiter tun. Aber du mußt uns erklären, warum der Name Sofie Radbuka dich heute abend so sehr aus der Fassung gebracht hat. Ich weiß, daß ich nach dem Krieg für dich in Wien nach Radbukas gesucht habe. Wer waren sie?«
»Es war nicht der Name«, sagte Lotty. »Sondern die ganze Sache mit...« Sie schwieg und biß sich auf die Lippe wie ein Schulmädchen, als sie sah, daß Max ernst den Kopf schüttelte. »Es... es war jemand in der Klinik«, murmelte Lotty mit gesenktem Blick. »Im Royal Free. Eine Person, die nicht wollte, daß ihr Name bekannt wurde.«
»Das war es also«, sagte Carl mit einer Heftigkeit, die uns alle überraschte. »Ich hab's ja gewußt damals. Ich hab's gewußt, aber du hast es abgestritten.«
Lottys Gesicht wurde fast so rot wie ihre Seidenjacke. »Du hast damals so dumme Dinge behauptet, daß du meiner Ansicht nach keine Antwort verdient hattest.« »Worüber?« fragte Agnes, die genauso verwirrt war wie ich.
Carl sagte: »Ihr habt inzwischen vermutlich gemerkt, daß Lotty und ich in London ein paar Jahre lang ein Paar waren. Ich dachte damals, es wäre für immer, aber da wußte ich noch nicht, daß Lotty mit der Medizin verheiratet ist.«
»Ganz anders als du und deine Musik«, fuhr Lotty ihn an.
»Genau«, sagte ich und beugte mich vor, um mir überbackene Kartoffeln und Lachs von dem Tablett zu nehmen, das der Kellner gebracht hatte. »Ihr seid also beide in eurem Beruf aufgegangen. Keiner von euch wollte Kompromisse machen. Und was ist dann passiert?«
»Dann hat Lotty Tuberkulose bekommen. Das hat sie zumindest behauptet«, preßte Carl hervor. Er wandte sich wieder Lotty zu. »Du hast mir nie gesagt, daß du krank bist. Du hast dich nicht von mir verabschiedet! Ich hab' deinen Brief erhalten - ach, was sag' ich? Brief? Eine kurze Notiz in der Times hätte mir mehr gesagt. Als ich von Edinburgh zurückkam, habe ich diese kalte, rätselhafte Mitteilung vorgefunden. Ich bin sofort ans andere Ende der Stadt gefahren. Deine verrückte Haushälterin - ich seh' noch ihr Gesicht mit dem scheußlichen behaarten Leberfleck mitten auf
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