Ihr wahrer Name
Gegenwart zurück. Wenn es die Radbukas nicht mehr gibt, woher hat dieser Mann heute abend dann ihren Namen?«
»Ja«, pflichtete ihm Lotty bei. »Das ist es, was mich so verblüfft hat.«
»Hast du eine Ahnung, wie sich das herausfinden ließe, Victoria?« fragte Max.
Ich gähnte herzhaft. »Nein. Ich weiß nicht, wie ich ihn dazu bringen soll, daß er mich diese mysteriösen Dokumente ansehen läßt. Ich könnte die Sache auch von seiner Vergangenheit her aufrollen, aber ich weiß nicht, was von den Einwanderungsunterlagen aus den Jahren 47 und noch existiert, als er vermutlich in dieses Land gekommen ist. Vorausgesetzt er war überhaupt ein Einwanderer.«
»Deutsch spricht er zumindest«, sagte Lotty unerwartet. »Als er hier aufgetaucht ist, habe ich mich gefragt, ob überhaupt irgendwas an seiner Geschichte stimmt - ihr wißt ja, daß er auf dem Video behauptet, als kleines Kind hierhergekommen zu sein und Deutsch gesprochen zu haben. Also habe ich ihn auf deutsch gefragt, ob er mit dem Mythos von den Ulfs als Wolfskriegern vertraut ist. Und er hat mich verstanden.«
Ich versuchte mich an den genauen Hergang des Gesprächs im Flur zu erinnern, schaffte es aber nicht. »Da hat er doch gesagt, daß er sich weigert, die Sprache seiner Unterdrücker zu sprechen, stimmt's?« Wieder mußte ich gähnen. »Aber jetzt kann ich nicht mehr. Carl, Michael, das Konzert heute war wirklich wunderbar. Ich hoffe, der Rest der Tournee läuft genausogut, und die Störung heute beeinträchtigt nicht eure Musik. Begleitest du sie?« fragte ich Agnes.
Sie schüttelte den Kopf. »Die Tournee dauert noch vier Wochen. Calia und ich bleiben die nächsten fünf Tage bei Max, dann fahren wir direkt nach England zurück. Sie sollte eigentlich schon im Kindergarten sein, aber wir wollten, daß sie diese Zeit mit ihrem Opa hat.«
»Und wenn die fünf Tage vorbei sind, kenne ich die Geschichte von Ninshubur, dem treuen Hund, auswendig.« Max lächelte, doch seine Augen blieben ernst.
Morrell nahm meine Hand. Wir stolperten zum Wagen hinaus, Don im Schlepptau, der auf dem Weg noch schnell ein paarmal an seiner Zigarette zog. Ein Streifenwagen aus Evanston inspizierte gerade die Aufkleber an Morrells Wagen: Die Stadt Chicago verdient eine ganze Menge Geld durch ihre unberechenbaren Parkvorschriften. Morrells Auto befand sich außerhalb seines eigenen Parkbereichs, aber es gelang uns einzusteigen, bevor der Polizist einen Strafzettel ausstellte. Ich ließ mich auf den Beifahrersitz sinken. »Ich bin noch nie so lange am Stück so vielen Emotionen ausgesetzt gewesen.«
»Ja, das war anstrengend«, pflichtete Morrell mir bei. »Ich glaube nicht, daß dieser Paul ein Betrüger ist. Was meinst du?«
»Nein, er versucht bestimmt nicht, uns absichtlich hinters Licht zu führen«, murmelte ich mit geschlossenen Augen. »Er glaubt fest an das, was er sagt, aber trotzdem empfinde ich ihn als beunruhigend: Er läßt sich zu schnell von neuen Informationen überzeugen.« »Egal, es bleibt eine Wahnsinnsstory«, sagte Don. »Vielleicht sollte ich nach England fahren und mich dort über die Radbuka-Familie kundig machen.«
»Das führt dich aber ganz schön weit von deinem Buch mit Rhea Wiell weg«, sagte ich. »Und um das zu wiederholen, was Morrell mir gestern verraten hat: Hältst du es wirklich für nötig, in Lottys Vergangenheit herumzuschnüffeln?«
»Nur insofern, als sie einen Bezug zur Gegenwart zu haben scheint«, antwortete Don. »Ich hatte den Eindruck, daß sie lügt. Was glaubt ihr? Ich meine, über die Sache mit dem Royal Free.«
»Soweit ich das beurteilen kann, wollte sie uns klarmachen, daß uns die Sache nichts angeht«, sagte ich, als Morrell in die schmale Straße hinter seinem Haus einbog.
»Diese Geschichte mit Lotty und Carl.« Ich zitterte ein bißchen, als ich Morrell ins Schlafzimmer folgte. »Lottys Schmerz und auch der von Carl, aber dann noch Lottys Gefühl, so allein zu sein, daß sie ihrem Geliebten nichts von ihrer lebensgefährlichen Krankheit erzählen kann. Schrecklich.« »Morgen ist mein letzter Tag hier«, sagte Morrell. »Ich muß noch packen und dann wieder den ganzen Tag mit den Leuten vom Außenministerium verbringen. Statt mit dir, mein Schatz, was mir viel lieber wäre. Heute nacht hätte ich ein bißchen mehr Schlaf und ein bißchen weniger Drama vertragen können.«
Ich warf meine Kleidung auf einen Stuhl, während Morrell seinen Anzug ordentlich in den Schrank hängte. Aber immerhin mußte er
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