Ihr Wille Geschehe: Mitchell& Markbys Zehnter Fall
Sammelsurium von Gegenständen den Namen Auslage überhaupt verdiente. Vielleicht stand die Katze selbst zum Verkauf. Meredith wäre nicht überrascht gewesen, wenn sie ein schmuddeliges Preisschild an ihrem Hals entdeckt hätte. Sie blickte nach oben. Über dem schmutzigen Fenster hing ein verblasstes Schild: WIR-HABEN-ALLES Inhaberin S. Warren. Hinter dem Fenster war kein Anzeichen von Leben zu erkennen, und doch erweckte es Merediths Interesse, wie es ein Trödlerladen eben so tat. Nüchtern betrachtet weiß man, dass alles, was dort angeboten wird, Plunder ist. Doch die Fantasie versucht einem stets aufs Neue einzureden, dass sich vielleicht doch der ein oder andere unerwartete Schatz unter dem überflüssigen Zeugs anderer Leute verbarg. Meredith unterdrückte – bedauernd – den Impuls, das Geschäft zu betreten. Wynne war bereits weitergegangen, und Alan winkte ungeduldig. Der Besuch von WIR-HABEN-ALLES musste auf einen anderen Tag verschoben werden. Wynne blieb vor einem der kleinen Reihenhäuser stehen. Bevor sie die Glocke läuten konnte, flog die Tür auf, und zwei kleine Jungen kamen nach draußen gerannt, als wären sie von einem Katapult abgeschossen worden. Sie besaßen verblüffende Ähnlichkeit miteinander und waren gleich angezogen; der einzige Unterschied bestand in der Größe. Ihnen folgte ein kriegerischer Schrei, der durch die stille Straße hallte.
»Bruce! Ricky! Kommt sofort wieder nach drinnen!« Bruce und Ricky waren links und rechts von Wynne zum Stehen gekommen und starrten an ihr hoch. Beide hatten kurz geschorene Haare und einen einzelnen Ohrring. Sie trugen ausgewaschene schwarze T-Shirts mit einem schauerlichen Bild von einem Roboter mit rasiermesserscharfen Zähnen, dazu Jeans und schmutzige Turnschuhe. Der Ausdruck
»kleiner Mann«, der früher einmal populär gewesen war, wenn man zu Knaben dieses Alters sprach, drängte sich bei jedem der beiden Catto-Brüder förmlich auf. Keiner der beiden war ein Kind, abgesehen vom Alter. Ihre Gesichter waren die von Erwachsenen, die durch Erfahrung klug geworden waren, raffiniert, wach und amoralisch.
»Guten Morgen, Jungs«, sagte Wynne mit leicht erzwungener Freundlichkeit.
»Mum!«, rief Bruce, der Größere der beiden.
»Es ist diese Mrs Carter!« Die Information hallte zwischen den alten Mauern von Stable Row.
»Haben Sie Süßigkeiten?«, forderte der Jüngere mit einer Stimme, die überraschend rau für sein Alter klang. Meredith schätzte ihn auf vielleicht sieben und seinen Bruder auf acht, höchstens neun.
»Tut mir Leid, heute nicht«, entschuldigte sich Wynne zerknirscht.
»Was denn, gar nichts?« Bestürzung schwang in seinem Tonfall mit und zeigte sich auf seinem Gesicht.
»Los, komm!«, befahl der Ältere der beiden, und sie rannten zusammen durch die Gasse davon.
»Können Sie sich vorstellen, wie die beiden in ein paar Jahren sein werden?«, fragte Wynne sotto voce.
»Sie werden vor einem Jugendrichter landen.« Für eine Antwort reichte die Zeit nicht mehr, denn in diesem Augenblick erschien die Mutter der beiden jungen Rabauken auf der Schwelle. Als Wynne am Abend zuvor von Olivia Smeatons Haushälterin gesprochen hatte, hatte in Meredith automatisch das Bild einer Frau in mittlerem Alter Gestalt angenommen, ein mütterlicher Typ mit hochgesteckten Haaren und Schürze. Als sie gehört hatte, dass Janine Catto eine allein erziehende Mutter war, hatte sie dieses Bild revidiert und sich eine etwas jüngere, modernere Frau vorgestellt. Allerdings, wie sich nun herausstellte, immer noch nicht modern genug. Die Frau in der Tür war vielleicht achtundzwanzig. Sie trug ein schwarzes T-Shirt wie ihre Jungen, dazu eng sitzende Leggings. Schwarz schien in diesem Haushalt eine bevorzugte Farbe zu sein. Nicht ganz dazu passend steckten Janine Cattos Füße in teuer aussehenden roten Schaffellpantoffeln. Sie trug die Haare kurz geschoren wie ihre Kinder und mit roten und kastanienbraunen Strähnen durchsetzt, als wäre sie unschlüssig gewesen, welche Tönung sie denn nun nehmen sollte. An einem Ohrläppchen baumelte ein silberner Totenschädel. Der Rand des anderen Ohrs war übersät mit den verschiedensten Steckern. Janine Catto erweckte den Eindruck, als wäre sie voll angestauter Energie, die sich jeden Augenblick mit brachialer Gewalt Bahn brechen konnte. Doch sie lächelte Wynne und ihre beiden Begleiter an.
»Hallo«, begrüßte sie ihre Besucher.
»Haben Sie zufällig gesehen, in welche Richtung die beiden
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