Ihr wisst genau, dass ihr mich liebt
graue Augen, und er war der erste Typ in Vanessas Leben,
bei dem sie sich nicht teigig, schwabbelig und abnorm vorkam. Sie hatte lange
geglaubt, Clark sei auf Ruby scharf, ihre supercoole, Bass spielende und immer
Lederhosen tragende Schwester, die mit ihrer Band häufig im »Five and Dime«
auftrat. Dabei hatte er sich die ganze Zeit für sie interessiert. »Du bist
anders«, hatte er gesagt. »Und das gefällt mir.«
Vanessa ivar auch
anders. Jedenfalls sehr viel anders als ihre Mitschülerinnen an der
Constance-Billard-Schule, von denen die meisten mit ihren vermögenden Eltern in
Pent- housewohnungen rings um die Fifth Avenue wohnten. Vanessa und Ruby
wohnten ohne ihre Eltern am anderen Ufer des East Rivers im Brooklyner
Szeneviertel Williamsburg in einer Winzbude über einer spanischen Bodega.
Ursprünglich kam Vanessa aus Vermont, aber sie hatte ihre Eltern, die beide
Künstler waren, so lange genervt, bis sie ihr mit fünfzehn schließlich erlaubt
hatten, zu Ruby nach New York zu ziehen. Allerdings nur unter der Bedingung,
dass sie auf die stockkonservative und sehr elitäre Constance-Billard-Schule
ging, um eine ordentliche Schulausbildung zu bekommen. Vanessas Mitschülerinnen
konnten nicht viel mit ihr anfangen. Während sie sich Strähnchen färben ließen
und bei Barneys oder Bendels shoppten, rasierte sich Vanessa den Schädel
eigenhändig mit einer Haarschneidemaschine fast kahl und zog aus Protest keine
Markenklamotten an, sondern ausschließlich billige schwarze Unisex-Kleidung.
Vanessa hatte Dan in der zehnten Klasse auf einer beknackten
Party kennen gelernt, auf der sie beide versehentlich ins Treppenhaus
ausgesperrt worden waren. Seitdem hatten sie sich oft getroffen und Vanessa
hatte sich im Laufe des letzten Jahres unsterblich in Dan verknallt. Doch Dan
hatte nur Augen für eine: Serena van der Woodsen.
Zum Glück war Clark kürzlich in Vanessas Leben
getreten. Sie gab sich redlich Mühe, Dan zu vergessen, aber das war nicht so
einfach. Jedes Mal, wenn sie sein bleiches, erschöpftes Gesicht und seine
ständig zitternden, wie Vögel flatternden Hände sah, wurde sie von
Zärtlichkeit für ihn überflutet. Dan bekam davon natürlich überhaupt nichts
mit. Er war weiterhin ganz normal nett zu ihr oder ignorierte sie völlig,
nämlich wenn Serena dabei war, was die Sache für Vanessa auch nicht leichter
machte.
Dans Schwester Jenny kannte Vanessa durch ihre Mitarbeit
bei der Schülerzeitung Rancor, deren
Chefredakteurin Vanessa war. Jenny hatte eine ausgesprochen schöne Handschrift
und war eine talentierte Fotografin mit einem tollen Auge. Jenny und Vanessa
hatten Serena zusammen beim Dreh ihres Kurzfilms geholfen - Serena hatte sie
darum gebeten, und man konnte ihr einfach nichts abschlagen -, aber darüber
hinaus hatte Jenny kein Interesse an Vanessa als Freundin. Sie fand sie eher
merkwürdig. Sie sah aus wie eine wandelnde Vogelscheuche und war ganz anders
als die Mädchen, die Jenny bewunderte.
»Gibt's bei euch auch Irish Coffee?«, fragte Dan.
Irish Cof- fee war sein Lieblingsgetränk, weil es hauptsächlich Kaffee
enthielt.
»Klar«, sagte Clark.
»Für mich bloß eine Cola«, sagte Jenny. Sie mochte
keinen Alkohol. Mit Ausnahme von Champagner.
»Also, was ist jetzt? Schauen wir Serenas Film an oder
nicht?«, fragte Dan und schwang sich auf seinem drehbaren Barhocker im Kreis
herum.
»Dazu müssen wir erst mal auf Serena warten, du Blödkopf«,
sagte Jenny.
Vanessa guckte gelangweilt. »Mein Bedarf an Film ist,
ehrlich gesagt, momentan ziemlich gedeckt. Seit drei Wochen beschäftige ich
mich mit nichts anderem.«
Vanessa hatte jeden Tag bis spät in die Nacht an ihrem
eigenen Beitrag für das Filmfestival der Constance-Billard- Schule gearbeitet,
mit dem sie sich anschließend auch an der New York University bewerben wollte.
Das war das Ziel, auf das sie schon ihr Leben lang hinarbeitete: Ab nächstem
Jahr wollte sie an der NYU Film studieren und als Regisseurin von Kultfilmen ä
la »Begierde« oder »Ghost Dog« berühmt werden. Leider war ihr neuestes Werk
eine ziemliche Katastrophe.
Der Kurzfilm basierte auf einer Szene aus Tolstois
»Krieg und Frieden« mit Dan und einer Kaugummi kauenden Zehntklässlerin namens
Marjorie, die absolut nicht schauspielern konnte, in den Hauptrollen. Serena
hatte auch für die Rolle vorgesprochen, aber obwohl sie die ideale Besetzung
gewesen wäre, hatte sich Vanessa gegen sie entschieden. Sie hätte es einfach
nicht verkraftet, bei jeder
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