Ikone der Freiheit - Aung San Suu Kyi
immer gewollt hatten. Die Briten bezeichneten dieses Gebiet als »The Border Areas«. Für die Kachin, die Shan, die Karen und die anderen Gruppen hatte die Kolonialzeit demnach eine Voraussetzung geschaffen, die ihr Streben nach eigenen Staaten begünstigte. Männer aus den ethnischen Minoritätsgruppen, nicht zuletzt die Karen und Karenni, übernahmen Aufgaben bei Armee, Polizei und Administration. Aus Indien wurden billige Arbeitskräfte importiert, und zu Beginn des 20. Jahrhunderts lebten in der Hauptstadt Rangun mehr Inder als Burmanen.
Für die Burmanen beinhaltete diese Entwicklung eine kulturelle, politische und wirtschaftliche Degradierung. Die einst in der Hierarchie am höchsten Stehenden fanden sich plötzlich ganz unten wieder.
Aung San wuchs in einer Gesellschaft auf, die die alten Zeiten hinter sich gelassen hatte. Das Königreich existierte nicht länger. Das Land wurde von einem brutalen britischen Regime gesteuert, das die Naturressourcen ausbeutete und einen Großteil der Bevölkerung der Armut überließ. Ein gut ausgebautes Netzwerk von Denunzianten und eine gefürchtete Sicherheitspolizei hielten die gesamte Bevölkerung in Schach, und jeder Versuch des bewaffneten Widerstands wurde mit brutaler Gewalt erstickt. Allerdings bauten die neuen Machthaber auch die Infrastruktur aus. Von Nord nach Süd wurden Eisenbahnschienen gelegt, es wurden Brücken und Straßen gebaut, und im Umkreis der großen Städte wuchs die Industrie heran. Auch ein Bildungssystem wurde geschaffen, das das Land modernisieren sollte, aber auch als Gegengewicht zu den buddhistischen Klosterschulen gedacht war, die als antikoloniale Widerstandsnester galten.
Die letzte Revolte, die von konservativer Sehnsucht nach der alten Zeit der Könige geprägt war, war der sogenannte Saya-San-Aufstand, der zu Beginn der 1930er Jahre stattfand. Saya San war ein Mönch, der sein Kloster verließ und sich der nationalistischen Bewegung anschloss. Aus Protest gegen die Armut der Landbevölkerung scharte er eine Rebellenarmee aus Bauern um sich, die den gut ausgebildeten britischen Truppen einzig mit Knüppeln sowie Pfeil und Bogen entgegentraten. Die von den Briten gegen die Rebellen aufgestellten Truppen bestanden zu großen Teilen aus Soldaten des Karen-Volkes im östlichen Burma. Über 3 000 Rebellen wurden von den Briten abgeschlachtet, viele von ihnen, weil sie sich durch Amulette, die sie bei sich trugen, gegen Gewehrkugeln immun glaubten und daher direkt in das britische Kugelfeuer hineinmarschierten. Saya San wurde ergriffen und im November 1931 hingerichtet.
Zu dieser Zeit begriff sich die nationalistische Bewegung in erster Linie als antikolonial; die ideologischen Unterschiede der einzelnen Gruppen waren eher marginal.
Doch zu Beginn der 1930er Jahre trat eine Veränderung ein. Die Bewegung wurde zunehmend von jungen Männern dominiert, die allesamt ihre Ausbildung auf den von den Briten geschaffenen Schulen erhalten hatten. Zwar waren sie Nationalisten bis in die Fingerspitzen, wollten aber die alte Monarchie nicht neu erschaffen. Stattdessen waren sie von Platon, Mill, Marx und Lenin beeinflusst, allerdings auch von den neuen faschistischen Ideen aus Deutschland, Italien und Japan.
Gleichwohl waren sie immer noch ein Teil der buddhistischen Tradition. Burma war und ist eines der Länder, die am stärksten vom Buddhismus geprägt sind. Ungefähr 80 Prozent der Bevölkerung sind gläubige Buddhisten. Der Rest setzt sich aus Christen, Hindus und Muslimen zusammen. Die allermeisten kombinieren, unabhängig von ihrem Bekenntnis, ihre jeweilige Religion mit dem uralten Glauben an sogenannte
nats
, eine Mischung aus Kobold und Geist.
Der Buddhismus wurde schon vor tausend Jahren, als das erste burmanische Königreich entstand, zur dominierenden Religion. Es heißt, dass der erste König Anawrahta, kurz nachdem er die Macht übernommen hatte, von einem Mönch aufgesucht wurde. Dieser überzeugte ihn, dass es einfacher wäre, das Reich zusammenzuhalten, wenn es eine einende Religion gäbe.
Die meisten Burmanen sind praktizierende Gläubige und verbringen einen Teil ihres Lebens im Kloster, um zu meditieren und sich aus der Welt zurückzuziehen – entweder als Novize in der Jugend oder zu einem späteren Zeitpunkt im Leben. Man geht davon aus, dass es heute um die 400 000 Mönche in Burma gibt. Die Klöster bieten insbesondere Kindern aus armen Familien die Möglichkeit einer kostenlosen Schulbildung, wohingegen staatliche
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