Ikone der Freiheit - Aung San Suu Kyi
Schulen hohe Gebühren verlangen. Aufgrund seiner festen Verwurzelung im Volk ist das
sanghan
, das Mönchtum, immer eine dominierende Kraft in der Zivilgesellschaft gewesen. Die Klöster schaffen eine Arena für Diskurse und politische Aktivitäten, der sich kein Herrscher bislang entgegenzustellen wagte. Die Klöster haben zudem immer außerhalb der staatlichen Jurisdiktion gestanden, und das sogar in Zeiten, als der Staat besonders totalitär ausgeprägt war. Sie haben sich sozial engagiert, Verfolgte unterstützt sowie politisch geradezu revolutionäre Thesen formuliert, wenn die Machthaber Grenzen überschritten. So betrachtet war es also kein Zufall, dass die Klöster oft Zentren der nationalistischen Bewegung und des Widerstands gegen die britische Kolonialmacht darstellten.
Aung San war Marxist und Sozialist, aber auch von dem buddhistischen Mönch Thakin Kodaw Hmaing beeinflusst. Als Kind hatte Kodaw Hmaing in den 1880er Jahren miterlebt, wie die Briten Mandalay besetzten und König Thibaw ins indische Exil verbannten. Er wird oft als das deutlichste Bindeglied zwischen dem vorkolonialen Burma und der sich ausweitenden Revolution um die Zeit des Zweiten Weltkriegs betrachtet. Thakin Kodaw Hmaing vermischte sozialistisches Gedankengut mit der buddhistischen Glaubenslehre. Unter anderem beschrieb er eine fiktive vorhistorische Zeit, eine Art Nirwana, in der die Menschen in Freiheit und Harmonie miteinander gelebt hätten. Doch wie alle Paradiese sei auch dieses durch Gier und weltliche Begierden verlorengegangen, und ein Buddha sei vonnöten, um die Menschen in die ungeschützte Wirklichkeit zu führen. Die Ähnlichkeiten mit der Jesusgeschichte in der Bibel liegen auf der Hand, aber Kodaw Hmaings mythologische Welt passte auch gut mit den sozialistischen Theorien über Volkseigentum und der Kritik an den sozialen Abgründen innerhalb einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung zusammen.
Ein Jahr nach dem Saya-San-Aufstand begann Aung San ein Studium an der Universität. Er war erst 18 Jahre alt und hatte das Schulsystem schnell und mit Spitzennoten in allen Fächern durchlaufen. Eine bemerkenswerte Leistung, wenn man bedenkt, dass sich seine Mutter lange geweigert hatte, ihren jüngsten Sohn aus dem Haus zu lassen, und er deshalb erst mit zwei Jahren Verspätung die Grundschule besuchte.
Für einen jungen Burmesen vom Land muss Rangun damals in etwa so gewesen sein, als würde man heute von einem winzigen Ort nach London, Paris oder New York ziehen. Die Stadt war stark von ihrer multikulturellen Identität geprägt. Inder, Briten, Franzosen und Chinesen bestimmten zusammen mit dem ethnischen Mosaik, das Burma von Anbeginn ausmachte, das Straßenbild. In den Vierteln um den Hafen befuhren europäische Autos die ausgebauten Straßen. Und für alle, die an englischer oder burmesischer Literatur interessiert waren, gab es zahlreiche Buchhandlungen.
An der Universität waren die Engländer tonangebend. Es gab nur wenige einheimische Studenten, und der erste Professor mit burmesischen Wurzeln war erst ein paar Jahre zuvor eingestellt worden. Englisch und Burmesisch waren obligatorische Fächer, doch alle Vorlesungen und Diskussionen sowie die Kursliteratur basierten auf der Sprache der Kolonialmacht, auch wenn einige Lehrer Burmesen waren. Die Studenten hatten das Recht, einen Longyi zu tragen – den burmesischen Sarong, der sowohl von Frauen als auch Männern benutzt wird –, die Lehrer hingegen hatten die strikte Auflage, europäische Kleidung zu tragen, meist Anzug und Hemd mit Manschettenknöpfen und Fliege. Für viele Studenten war es oft ein bizarres Erlebnis, einem Lehrer gegenüberzusitzen, der kaum die Sprache beherrschte, die zu sprechen von ihm erwartet wurde.
Im Nachhinein betrachtet, scheint sich Aung San während seiner Studienzeit keineswegs als geborener Kandidat für die Rolle des Nationalhelden geeignet zu haben. Eher wirkte er wie ein Sonderling. Ein Mensch also, dem es in einer weniger dramatischen Zeit wohl schwergefallen wäre, sich als Anführer zu behaupten. »Er konnte stundenlang tief in Gedanken versunken dasitzen«, schrieb Bo Let Ya, einer seiner engsten Freunde während des Studiums. »Wenn man ihn ansprach, war es nicht sicher, ob er einem antwortete.« Andere beschrieben, wie wenig sich Aung San um sein Aussehen scherte. Er kleidete sich schlecht und trug seine Sachen so lange, bis sie völlig verschmutzt waren und es niemand mehr in seiner Nähe aushielt. Wenn er dann einmal
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