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Ilium

Titel: Ilium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Konferenz zurückbeorderten.
    Er konnte den Kraken töten. Aber ohne ein Ernte-U-Boot im Umkreis von tausend Klicks würde die schöne Bestie von den Parasiten in den Leuchttangkolonien, von Salzhaien, im Wasser schwebenden Röhrenwürmern und anderen Kraken in Stücke gerissen und aufgefressen werden, lange bevor eine Erntemaschine des Unternehmens in seine Nähe gelangte. Das wäre eine furchtbare Verschwendung.
    Mahnmut ging kurz aus der virtuellen Sicht und schaute sich in seiner Milieu-Nische um, als könnte ihn der Anblick seiner unordentlichen Wirklichkeit auf eine Idee bringen. Und so war es auch.
    Neben den in Leder gebundenen Shakespeare-Bänden und dem Vendler-Printout auf seinem Konsolentisch stand seine Lavalampe – ein kleiner Scherz seines alten Moravec-Partners Urtzweil, damals vor fast zwanzig J-Jahren.
    Mahnmut lächelte und ging auf kompletter Bandbreite wieder in die virtuelle Sicht. So nahe bei der Chaos-Hauptbasis musste es Diapire geben, und Kraken hassten Diapire …
    Ja. Fünfzehn Klicks südsüdöstlich, ein ganzes Feld. Sie stiegen langsam zur Eiskappe empor, genauso träge wie die Wachsklumpen in seiner Lavalampe. Mahnmut nahm Kurs auf den nächsten aufsteigenden Diapir und beschleunigte nur zur Sicherheit – falls es so etwas in Tentakelreichweite eines ausgewachsenen Kraken überhaupt gab – um weitere fünf Knoten.
    Ein Diapir war nicht mehr als ein Klumpen warmen Eises, das von den Schloten und Gravitations-Wärmezonen tief unten erhitzt wurde und durch das Bittersalzmeer zu der Eisdecke aufstieg, die Europa früher einmal zu hundert Prozent bedeckt hatte und jetzt, zweitausend E-Jahre, nachdem das Unternehmen mit seinen Cryobot-Arbeitern hergekommen war, immer noch mehr als 98 Prozent des Mondes überzog. Dieser Diapir hatte ungefähr fünfzehn Klicks Durchmesser und stieg rasch in die Höhe, während er sich der Eiskruste an der Oberfläche näherte.
    Kraken mochten die elektrolytischen Eigenschaften der Diapire nicht. Sie wollten sich nicht einmal ihre Tasttentakel mit dem Zeug beschmutzen, und schon gar nicht ihre Tötungsarme und ihr Maul.
    Mahnmuts U-Boot erreichte den aufsteigenden Klumpen mit gut zehn Kilometer Vorsprung vor seinem Verfolger, bremste ab, morphte seine Außenhülle auf Aufschlagstärke, zog seine Sensoren und Sonden ein und bohrte sich in den Matschkloß. Mit Sonar und EPS untersuchte Mahnmut die Lenticulae und die befahrbaren Wasserrinnen, die sich noch rund achttausend Meter über ihm befanden. In ein paar Minuten würde der Diapir in die dicke Eisschicht eindringen, durch Spalten, Lenticulae und Rinnen nach oben strömen und schließlich in einer hundert Meter hohen Eismatsch-Fontäne zutage treten. Für kurze Zeit würde dieser Teil von Conamara Chaos wie der Yellowstone Park im Amerika des Untergegangenen Zeitalters aussehen, emporschießenden schwefelroten Geysiren und brodelnden heißen Quellen. Dann würde sich die Gischtspur in Europas 0,14-facher Erdschwerkraft verteilen, kilometerweit zu allen Seiten jeder Oberflächen-Lenticula wie ein Zeitlupengraupelschauer herunterfallen, dann in Europas dünner, künstlicher Atmosphäre – nicht mehr als 100 Millibar – gefrieren und den ohnehin schon grotesk entstellten Eisfeldern weitere abstrakte Skulpturen hinzufügen.
    Mahnmut konnte nicht getötet werden, jedenfalls nicht im eigentlichen Sinne des Wortes – obgleich teilweise organisch, »existierte« er eher, als dass er »lebte«, und er war widerstandsfähig konstruiert –, aber er wollte auf keinen Fall in einer Fontäne ausgespien oder für die nächsten paar tausend E-Jahre ein gefrorener Brocken in einer abstrakten Skulptur werden. Eine Minute lang vergaß er sowohl den Kraken als auch das Sonett 116, während er seine Berechnungen durchführte – die Aufstiegsgeschwindigkeit des Diapirs, das Tempo, mit dem sein U-Boot durch den Matsch vorankam, die rasch näher kommende Eisdecke –, dann lud er seine Überlegungen in den Maschinenraum und die Ballasttanks hinunter. Wenn alles gut ging, würde er einen halben Klick, bevor der Klumpen aufs Eis traf, an der Südseite des Diapirs herauskommen und dann mit voller Beschleunigung ein Notauftauchmanöver machen, wenn die vom Diapir ausgelöste Gezeitenwelle in die Wasserrinne gedrückt wurde. Mit Hilfe dieser Beschleunigung auf 100 Klicks pro Stunde würde er vor dem Fontäneneffekt bleiben – im Grunde würde er sein U-Boot auf der Hälfte der Strecke zur Conamara-Chaos-Zentrale wie ein Surfbrett

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