Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ilium

Titel: Ilium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
würdest das vielleicht sehen wollen«, sagte Savi zu Harman, als ob die Übrigen nicht wüssten, wovon sie redeten.
    Vor ihnen durchschnitt der Ozean die Landenge; auf einer Breite von mindestens hundertfünfzig Kilometern war offenes Wasser zu sehen. Savi ging höher und bog nordwärts übers offene Meer ab.
    »Auf den Karten, die ich gesehen habe, verbindet die alte Landenge Nord- und Südamerika auf ganzer Strecke«, sagte Harman und mühte sich von seiner Liegefläche hoch, um nach hinten zu schauen.
    »Die Karten, die du gesehen hast, sind unbrauchbar.« Savis Finger bewegten sich, und das Sonie beschleunigte und gewann noch mehr Höhe.
    Die Mittagszeit war schon vorüber, als eine weitere Küstenlinie in Sicht kam. Savi ging mit dem Sonie herunter, und bald schossen sie über Sümpfe dahin, die rasch endlosen Kilometern von Sumpfzypressen und Sequoias wichen (Savi nannte ihnen die Namen der Bäume). Manche von ihnen ragten sechzig bis neunzig Meter hoch in die feuchte Luft.
    »Wir machen gleich eine Mittagspause«, sagte Savi. »Will sich jemand vielleicht die Beine auf festem Boden vertreten? Oder mal kurz verschwinden?«
    Vier der fünf Passagiere stimmten laut mit Ja. Odysseus lächelte ein wenig. Er hatte gerade ein Nickerchen gemacht.
     
    Sie aßen auf einer Lichtung auf einer kleinen Anhöhe zu Mittag, umgeben von kathedralenartigen Baumriesen. Der Ä-Ring und der P-Ring zogen blass durch das kleine Stück blauen Himmels, das über ihnen zu sehen war.
    »Gibt’s hier Dinosaurier?« Daeman spähte in die Schatten unter den Bäumen.
    »Nein«, sagte Savi. »Sie bevorzugen eher die mittleren und nördlichen Teile des Kontinents.«
    Daeman ließ sich entspannt an einen umgefallenen Baumstamm sinken und nagte an seinem Obst, den Rindfleischscheiben und dem Brot herum, setzte sich jedoch kerzengerade auf, als Odysseus sagte: »Vielleicht will Savi damit in Wahrheit nur zum Ausdruck bringen, dass es hier wildere Raubtiere gibt, die rekombinante Dinosaurier fern halten.«
    Savi sah Odysseus stirnrunzelnd an und schüttelte den Kopf, als seufzte sie über ein unfolgsames Kind. Daeman blickte erneut in die mittäglichen Schatten unter den Bäumen und rückte näher ans Sonie heran, um seine Mahlzeit zu beenden.
    Hannah, die kaum je den Blick von Odysseus wandte, nahm sich die Zeit, ihr Turin-Tuch aus einer Tasche zu holen und es sich über die Augen zu legen. Sie lehnte sich für einige Minuten zurück, während die anderen in der schattigen Hitze und Stille schweigend aßen. Schließlich setzte sie sich auf, nahm das mit Mikroschaltkreisen bestickte Tuch ab und sagte: »Odysseus, möchtest du sehen, was mit dir und deinen Kameraden im Krieg um die ummauerte Stadt geschieht?«
    »Nein«, sagte der Grieche. Er riss mit seinen weißen Zähnen einen Streifen vom übrig gebliebenen, kalten Fleisch der Terrorvögel ab und kaute langsam, dann trank er aus dem Weinschlauch, den er mitgebracht hatte.
    »Zeus ist zornig und hat die Waage zugunsten der von Hektor angeführten Trojaner geneigt«, fuhr Hannah fort, ohne Odysseus’ Ablehnung zu beachten. »Sie haben die Griechen durch ihre Verteidigungsanlage – den Graben und die Schanzpfähle – zurückgetrieben und kämpfen nun in der Umgebung der schwarzen Schiffe. Es sieht so aus, als würde deine Partei verlieren. Alle großen Könige – auch du – haben die Flucht ergriffen. Nur Nestor ist geblieben, um weiterzukämpfen.«
    Odysseus grunzte. »Dieser geschwätzige alte Mann. Er ist geblieben, weil man ihm das Pferd unter dem Hintern weggeschossen hat.«
    Harman warf Ada einen Blick zu und grinste. Hannah hatte offenkundig die Absicht gehabt, Odysseus in ein Gespräch zu verwickeln, und nun dachte sie genauso offenkundig, sie hätte es erreicht. Ada glaubte immer noch nicht, dass dieser nur allzu reale Mann – sonnengebräunt, faltig, zernarbt, so anders als die in der Klinik erneuerten Männer ihrer Welt – mit dem Odysseus des Turin-Dramas identisch war. Wie die meisten intelligenten Menschen aus ihrem Bekanntenkreis war Ada davon überzeugt, dass das Turin-Tuch ein virtuelles Unterhaltungsprogramm bot, das wahrscheinlich im Untergegangenen Zeitalter geschrieben und aufgezeichnet worden war.
    »Erinnerst du dich an diesen Kampf bei den schwarzen Schiffen?«, hakte Hannah nach.
    Odysseus grunzte erneut. »Ich erinnere mich an das Fest in der Nacht vor diesem elenden, hundsmiserablen Tag. Von der Insel Lemnos waren dreißig mit Wein beladene Schiffe gekommen –

Weitere Kostenlose Bücher