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Ilium

Titel: Ilium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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tausend Maß, genug Wein, um die trojanischen Truppen darin zu ertränken, falls wir keine bessere Verwendung dafür fänden. Euneos, Jasons Sohn, hatte ihn als Geschenk für die Atriden – Agamemnon und Menelaos – geschickt.« Er betrachtete Hannah und die anderen mit zusammengekniffenen Augen. »Jasons Reise, also, das ist eine hörenswerte Geschichte.«
    Alle außer Savi sahen den Mann mit der gewölbten Brust und dem gegürteten Kittel verständnislos an.
    »Jason und seine Argonauten.« Odysseus schaute von einem zum anderen. »Diese Erzählung kennt ihr doch bestimmt.«
    Savi brach das verlegene Schweigen. »Sie kennen überhaupt keine Erzählungen, Sohn des Laertes. Unsere so genannten Altmenschen hier haben keine Vergangenheit, keine Mythen, keine wie auch immer gearteten Geschichten – mit Ausnahme des Turin-Tuchs. Sie können nicht mehr lesen und schreiben, während du und deine Kameraden es noch nicht konntet.«
    »Wir brauchten kein Gekritzel auf Rinde, Pergament oder Schlamm, um zu Männern zu werden, mit denen man rechnen musste«, knurrte Odysseus. »Die Schrift war in einer Zeit vor der unseren ausprobiert und als nutzlos aufgegeben worden.«
    »In der Tat«, sagte Savi trocken. »›Steht der Pinsel eines Analphabeten etwa weniger aufrecht?‹ Ich glaube, das hat Horaz gesagt.«
    Odysseus funkelte sie an.
    »Erzählst du uns von diesem Jason und seinen … seinen was?«, fragte Hannah und errötete auf eine Weise, die Ada endgültig davon überzeugte, dass ihre Freundin in der Nacht zuvor mit Odysseus gebumst hatte.
    »Ar-go-nau-ten«, sagte Odysseus langsam und betonte jede Silbe, als spräche er mit einem Kind. »Und nein, das tue ich nicht.«
    Ada merkte, wie ihr Blick zu Harman wanderte, während sie zugleich an die lange letzte Nacht zurückdachte. Sie wäre gern mit ihm spazieren gegangen, hätte sich mit ihm gern unter vier Augen über ihr gemeinsames Erlebnis unterhalten; und wenn das nicht ging, hätte sie in der feuchten Hitze der sonnengetüpfelten Lichtung am liebsten einfach die Augen geschlossen und ein Nickerchen gemacht, vielleicht, um von ihrer Liebesnacht zu träumen. Oder noch besser, dachte Ada, während sie Harman durch gesenkte Wimpern hindurch ansah, wir könnten uns einfach ins Halbdunkel des Waldes davonstehlen und es noch einmal machen, statt nur davon zu träumen.
    Doch Harman schien ihre Blicke nicht zu bemerken; Adas Geliebter hatte seine telepathische Sex-Antenne offenbar abgeschaltet und erweckte den Anschein, als fände er Odysseus’ Bemerkungen amüsant und interessant. »Erzählst du uns etwas von eurem Turin-Tuch-Krieg?«, fragte er den bärtigen Mann.
    »Er hieß ›Der trojanische Krieg‹, und zum Teufel mit eurem Turin-Lappen«, sagte Odyseus, aber er hatte kontinuierlich aus seinem Weinschlauch getrunken und schien ein wenig umgänglicher geworden zu sein. »Aber ich kann euch eine Geschichte erzählen, von der eure kostbare Windel nichts weiß.«
    »Ja, bitte«, sagte Hannah und rückte näher an den Krieger heran.
    »Der Herr bewahre uns vor Geschichtenerzählern«, murmelte Savi. Sie stand auf, verstaute ihr Essenspaket im Heck des Sonie und ging in den Wald.
    Daeman schaute ihr sichtlich nervös nach. »Glaubt ihr wirklich, dass es hier schlimmere Raubtiere als Dinosaurier gibt?«, fragte er niemandem im Besonderen.
    »Savi kann auf sich selbst aufpassen«, sagte Harman. »Sie hat ja diese Pistolenwaffe.«
    »Aber wenn sie von etwas gefressen wird«, sagte Daeman, der immer noch in den Wald starrte, »wer fliegt dann das Sonie?«
    »Pst«, machte Hannah. Sie legte Odysseus die langen, braunen Finger aufs Handgelenk. »Erzähl uns die Geschichte, von der das Turin-Tuch nichts weiß. Bitte.«
    Odysseus runzelte die Stirn, aber Ada und Harman nickten zustimmend, und so schnipste er sich die Krümel aus dem Bart und begann.
     
    »Dieses Abenteuer kam in der Geschichte eures Turin-Lappens nicht vor und wird darin auch nicht vorkommen. Was ich euch nun erzähle, geschah nach Hektors und Paris’ Tod, aber vor dem Holzpferd.«
    »Paris stirbt?«, unterbrach Daeman.
    »Hektor stirbt?«, fragte Hannah.
    »Holzpferd?«, sagte Ada.
    Odysseus schloss die Augen, strich sich mit den Fingern durch den Bart und sagte: »Darf ich fortfahren, ohne unterbrochen zu werden?«
    Alle nickten.
    »Was ich euch nun erzähle, geschah nach Hektors und Paris’ Tod, aber vor dem Holzpferd. Zu den größten Schätzen Iliums zählte damals tatsächlich ein göttliches Bildnis, das

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