Ilium

Wirtshaus vorzustellen, in dem ich Nightenhelser am Abend vorher gesehen habe. Dann nehme ich das QT-Medaillon in die Hand, drehe es und entfliehe.
    Er ist nicht in dem Wirtshaus, wo ich ihn am Morgen angetroffen habe. Ich eile zum Schlachtfeld; er ist auch nicht an seinem üblichen Platz auf der kleinen Anhöhe über den trojanischen Linien. Ich orientiere mich rasch über das Kampfgeschehen – Hektor und Paris führen die trojanischen Truppen gerade zu einem erfolgreichen Angriff gegen die flüchtenden Argeier –‚ dann qte ich zu einem schattigen Platz hinter den griechischen Linien, in der Nähe ihres Grabens und der Schanzpfähle, wo ich früher schon häufiger auf Nightenhelser gestoßen bin.
    Er ist da, in Gestalt von Dolops, dem Sohn des Klytios, der noch ein paar Tage zu leben hat, bevor er – sofern Homer Recht hat – von Hektor massakriert wird. Ohne erst noch eine andere Gestalt anzunehmen als die des unbeholfenen Hockenberry, nehme ich die Kapuze des Hades-Helms ab und laufe zu dem anderen Scholiker.
    »Hockenberry, was …« Nightenhelser ist schockiert von meinem unprofessionellen Verhalten und der Reaktion der anderen Achäer in der Nähe. Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, ist das Letzte, was ein Scholiker will – sofern er von einer rachsüchtigen Muse nicht zu Asche verbrannt werden möchte. Ich habe keine Ahnung, weshalb unsere Muse heute alle Scholiker auslöscht, aber ich vermute, dass ich irgendwie die Ursache für dieses Gemetzel an Unschuldigen bin.
    »Wir müssen weg von hier«, schreie ich über das Getöse heraneilender Verstärkungen, wiehernder Pferde und rumpelnder Streitwagen hinweg. Von diesem staubigen Aussichtspunkt aus hat es den Anschein, als hätte die gesamte Mitte der griechischen Linien nachgegeben.
    »Wovon reden Sie? Dies ist ein wichtiger Tag. Hektor und Paris sind …«
    »Scheiß auf Hektor und Paris«, sage ich auf Englisch.
    Hoch über den trojanischen Linien, wo Nightenhelser und ich oft Position beziehen, ist die Muse aus dem Nichts aufgetaucht. Eine andere Muse lenkt ihren fliegenden Streitwagen, während sie sich über die Seite beugt und die Truppen mit ihrem gesteigerten Sehvermögen absucht. Die Gestaltwandlung wird uns sterbliche Scholiker heute nicht retten.
    Wie zum Beweis dafür hebt Melete – »meine« Muse – ihre offenen Hände und feuert einen kohärenten Energiestrahl zur Erde. Er trifft einen trojanischen Fußsoldaten namens Dios, der nach Homer eigentlich am Leben bleiben sollte, um im 24. Gesang herumkommandiert zu werden, jedoch an diesem Tag in einem Feuerblitz und einem Wirbelwind aus Rauch und Hitze stirbt. Andere Trojaner weichen erschrocken zurück, manche fliehen in Richtung der Stadt, ohne den Zorn dieser Göttin am Tag eines von Zeus gewünschten Sieges zu verstehen, aber Hektor und Paris sind fast einen halben Kilometer südöstlich von dieser Stelle und führen ihren Angriff, ohne sich auch nur einmal umzuschauen.
    »Das war nicht Dios«, keucht Nightenhelser. »Das war Houston.«
    »Ich weiß.« Ich schalte von meinem gesteigerten Sehvermögen wieder auf normale Sicht um. Houston war der jüngste und neueste Scholiker. Ich habe kaum mit ihm gesprochen. Wahrscheinlich war er heute in den trojanischen Linien, weil ich fehlte.
    Der Streitwagen der Muse legt sich scharf in die Kurve und fliegt direkt auf uns zu. Ich glaube nicht, dass das Rabenaas uns schon gesehen hat – wir stehen mitten in einem Gewühl von aberhundert Männern und Pferden –, aber es kann nicht mehr lange dauern.
    Was soll ich tun? Ich kann wieder den Hades-Helm aufsetzen, wie ein Feigling weglaufen und Nightenhelser sterben lassen, so wie ich Blix und die anderen im Stich gelassen habe. Die eine Kappe kann uns unmöglich beide vor dem göttlichen Sehvermögen der Muse verbergen. Oder wir können weglaufen – zu den schwarzen Schiffen. Wir würden keine zwanzig Meter weit kommen.
    Der Streitwagen geht tiefer herunter und tarnt sich, sodass er für das Gewimmel der Griechen und Trojaner unter ihm unsichtbar ist. Nightenhelser und ich sehen ihn mit unserem nanoverstärkten Sehvermögen trotzdem auf uns zukommen.
    »Was in Dreiteufelsnamen …«, schreit Nightenhelser und lässt beinahe seinen Aufzeichnungsstab fallen, als ich beide Arme und ein Bein um ihn schlinge wie ein magerer Fußsoldat, der diesen stämmigen Bären von einem Mann zu vergewaltigen versucht.
    Mit dem Arm um den Hals des fülligen Scholikers packe ich das QT-Medaillon und drehe es.
    Ich habe