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Ilium

Titel: Ilium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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stand, die größtenteils vom Gras, den Farnen und dem Hang wieder in Besitz genommen worden waren. Ringlicht fiel durch die Blätter herab und färbte das hohe Gras mit sanftem Weiß. Die Gewitter, die sie überflogen hatten, waren noch nicht so weit nach Osten vorgedrungen, und die Nacht war warm und klar. Es gab hier zwar keine Servitoren, dafür aber Kühlschränke voller Lebensmittel, und Savi hatte die Zubereitung von Nudeln, Fleisch und Fisch beaufsichtigt. Daeman gewöhnte sich fast schon an die merkwürdige Vorstellung, sein Essen selbst zuzubereiten.
    Auf einmal fragte Harman: »Weißt du, Savi, warum die Nachmenschen die Erde verlassen haben und nicht mehr zurückgekommen sind?«
    Daeman erinnerte sich an die seltsame Datenvision, die er früher an diesem Tag auf der Lichtung im Sumpfzypressenwald gehabt hatte. Allein schon bei dem Gedanken daran wurde ihm ein wenig übel.
    »Ja«, sagte Savi, »ich glaube schon.«
    »Erzählst du es uns?«, fragte Harman.
    »Jetzt nicht.« Die alte Frau erhob sich und stieg die gewundenen Treppen zu einem erleuchteten Domi zehn Meter weiter oben am Baumstamm hinauf.
    Harman und Daeman sahen einander an, aber sie hatten sich nichts zu sagen. Schließlich zogen sie sich in ihre eigenen Domis zurück, um zu schlafen.
     
    Sie folgten dem Bruch in hohem Tempo über den Atlantik, bogen nach Süden ab, bevor sie Land erreichten, und flogen an den »Händen des Herkules« entlang, wie Savi es nannte.
    »Erstaunlich«, sagte Harman. Er erhob sich fast auf die Knie, um nach links zu schauen, als sie nach Süden flogen.
    Daeman musste ihm beipflichten. Zwischen einem großen Berg im Norden, den Savi Gibraltar nannte, und einem kleineren Berg rund vierzehn Kilometer weiter südlich hörte das Meer einfach auf. Eine Reihe gewaltiger goldener Menschenhände, die sich aus dem Meeresboden erhoben, versperrte ihm den Weg in das tiefe Becken, das sich nach Osten erstreckte. Jede Hand war über hundertsiebzig Meter lang, und die gespreizten Finger hielten die Mauer des Atlantik vom trockenen Mittelmeerbecken fern, das im Osten wie ein immer tiefer werdendes Tal in Wolken und Nebel abfiel.
    »Wozu die Hände?«, fragte Daeman, als sie auf der Südseite des nebelverhangenen Beckens Land erreichten und sich wieder nach Osten wandten. »Warum haben die Nachmenschen das Meer nicht einfach mit Kraftfeldern zurückgehalten, wie im Bruch?«
    Die alte Frau schüttelte den Kopf. »Die Hände des Herkules waren schon vor meiner Geburt hier, und die NMs haben uns nie erklärt, weshalb sie es so gemacht haben. Ich dachte immer, dass es bloß eine Laune war.«
    »Eine Laune«, wiederholte Harman. Es schien ihn zu beunruhigen.
    »Bist du sicher, dass wir nicht einfach direkt über das Becken fliegen können?«, fragte Daeman.
    »Ja, bin ich«, sagte Savi. »Das Sonie würde wie ein Stein vom Himmel fallen.«
    Durch den Spätnachmittag flogen sie über Sümpfe, Seen, Farnwälder und breite Flüsse hinweg. Savi bezeichnete das Land unter ihnen als Nordsahara. Bald schrumpften die Sümpfe und blieben hinter ihnen zurück, und das Land wurde trockener und steiniger. Herden riesenhafter, gestreifter Tiere – keine Dinosaurier, aber kaum kleiner als diese – zogen zu Hunderten über Grasland und felsiges Hochland.
    »Was sind das für Tiere?«, fragte Daeman.
    Savi schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Ahnung.«
    »Wenn Odysseus hier wäre, würde er wahrscheinlich eins davon töten und zum Abendessen verspeisen wollen«, sagte Harman.
    Savi grunzte.
    Kurz vor Sonnenuntergang verloren sie an Höhe, umkreisten eine fremdartige, ummauerte Stadt auf einer Hochebene, die nur vierzig Kilometer vom Mittelmeerbecken entfernt war, und landeten auf felsigem, flachem Terrain gleich westlich der Stadt.
    »Was ist das für eine Ortschaft?«, fragte Daeman. Er hatte noch nie so alte Mauern oder Gebäude gesehen, und selbst aus der Ferne war ihr Anblick irgendwie beunruhigend.
    »Sie heißt Jerusalem«, antwortete Savi.
    »Ich dachte, wir wollten ins Becken hinunter, um nach Raumschiffen zu suchen«, sagte Harman.
    Savi stieg vom Sonie und streckte sich. Sie sah sehr müde aus, aber schließlich, dachte Daeman, hatte sie das Sonie ja auch zwei Tage hintereinander geflogen. »So ist es«, sagte sie. »Hier finden wir ein Transportmittel. Und bei Sonnenuntergang möchte ich euch etwas zeigen.«
    Das versprach nichts Gutes, fand Daeman, aber er folgte ihr und Harman über die felsige Ebene, über den Schutt ehemaliger

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