Ilium
in meinem Leben sehe ich, wie ein Gott sich in Todesqualen windet und eine andere Form annimmt – er verliert seine gottähnliche menschliche Gestalt und wird zu einem schwarzen Strudel. Aus dieser Schwärze kommt ein Gebrüll, das die Dienerinnen aus dem Kinderzimmer flüchten lässt und mich auf beide Knie wirft. Die fünf Trojanerinnen – Andromache, Laodike, Theano, Hekabe und Helena – ziehen Dolche aus ihren Gewändern und greifen die Muse an.
Athene, deren Gestalt ebenfalls zittert und instabil ist, starrt auf ihre aufgeschlitzten Brüste und ihren blutenden Bauch hinunter. Dann hebt sie die rechte Hand und feuert einen Strahl aus kohärenter Energie ab, der Achilles’ Schädel in Plasma hätte verwandeln müssen, aber der Achäer duckt sich mit übermenschlicher Geschwindigkeit – seine DNA ist mit Nanozellen angereichert, die von den Göttern selbst speziell angefertigt wurden – und schlägt mit seinem Schwert nach den Beinen der Göttin, während die Wand hinter ihm in Flammen aufgeht. Athene levitiert – sie steigt vom Fußboden hoch und schwebt in der Luft –, doch zuvor hat Achilles’ Schwert schon göttliche Muskeln und Knochen durchtrennt, sodass ihr linkes Bein in zwei Stücken herunterbaumelt.
Diesmal ist der Schrei unerträglich laut, und ich verliere für einen Moment das Bewusstsein, aber vorher sehe ich noch, wie meine Muse – der Schrecken meiner Tage – in solche Panik gerät, dass sie ihre Teleportationsfähigkeit vergisst und einfach aus dem Raum läuft, verfolgt von fünf messerschwingenden Trojanerinnen.
Ein paar Sekunden später komme ich wieder zu mir. Achilles schüttelt mich.
»Sie sind entflohen«, knurrt er. »Die schwanzlosen Feiglinge sind zum Olymp geflohen. Bring uns dorthin, Hockenberry.« Er zieht mich mit einer Hand am Riemen meines Brustharnischs hoch, hält mich auf Armeslänge von sich, schüttelt mich und setzt mir die Spitze seines mit Götterblut besudelten Schwerts unters Kinn. »Jetzt sofort!«, knurrt er.
Mir ist klar, dass es meinen Tod bedeuten wird, wenn ich mich widersetze – Achilles’ Augen sind wahnsinnig, die Pupillen sind zu schwarzen Nadelspitzen geschrumpft –‚ aber in diesem Moment packt Hektor Achilles’ Arm und drückt ihn nach unten, bis meine Füße den Boden berühren. Achilles lässt mich los und wendet sich seinem kurzzeitigen trojanischen Verbündeten zu, und einen Moment lang bin ich sicher, dass sich das Schicksal wieder Geltung verschaffen wird – dass der fußschnelle Achilles Hektor hier und jetzt erschlagen wird.
»Kamerad«, sagt Hektor und hebt seine leere, offene Hand. »Feind der erbarmungslosen Götter wie ich!«
Achilles hält in seinem Angriff inne.
»Hör mir zu!«, schnauzt Hektor, nun von Kopf bis Fuß der Feldherr. »Uns eint der Wunsch, diesen verwundeten Göttern zum Olymp zu folgen und dort im ruhmreichen Kampf bei dem Versuch zu sterben, Zeus selbst zu stürzen.«
Achilles’ wilde Miene ändert sich nicht. Man sieht fast nur das Weiße seiner Augen. Aber er hört zu. Mit Müh und Not.
»Aber unser ruhmreicher Tod wird den Untergang unserer Völker bedeuten«, fährt Hektor fort. »Wenn wir uns auf angemessene Weise rächen wollen, müssen wir unsere Truppen hinter uns versammeln, den Olymp belagern und alle Götter stürzen. Achilles, kümmere du dich um deine Männer!«
Achilles blinzelt und dreht sich zu mir um. »Du«, fährt er mich an. »Kannst du mich mit deinem Zauber jetzt sofort ins achäische Lager zurückbringen?«
»Ja«, sage ich zittrig. Ich sehe Helena und die anderen Frauen ins Kinderzimmer des Todes zurückkommen, die Dolche unbefleckt von goldenem Götterblut. Offenbar ist ihnen die Muse entwischt.
Achilles wendet sich an Hektor. »Sprich zu deinen Männern. Töte jeden Führer, der sich deinem Willen widersetzt. Ich werde dasselbe bei meinen Argeiern tun. Wir treffen uns in drei Stunden bei jenem aufragenden Hügel, der sich vor Ilium erhebt – du weißt, welchen ich meine. Ihr Einheimischen nennt ihn Batieía. Die Götter und wir Achäer nennen ihn das Grabmal der sprunggeübten Amazone Myrine.«
»Den kenne ich«, sagt Hektor. »Bring ein Dutzend von deinen Lieblingsgenerälen zu dieser Besprechung mit, Achilles. Aber lass deine Truppen fünfzehn Stadien zurück, bis wir uns auf eine Strategie geeinigt haben.«
Achilles fletscht die Zähne, entweder in einem Grinsen oder in einer erbosten Grimasse. »Du traust mir nicht, Sohn des Priamos?«
»In diesem Augenblick sind
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