Illuminati
dem Geistlichen. »Vater, nein! Tun Sie das nicht!«
Als er unten angekommen war und die Glastür öffnen wollte, wuchtete der Camerlengo das Eisengitter hoch. Es quietschte laut in den Angeln; dann kippte es hintenüber und krachte mit ohrenbetäubendem Lärm auf den Boden. Darunter kam ein dunkler Schacht zum Vorschein, und eine steile Treppe führte in ein schwarzes Nichts. Der Camerlengo machte Anstalten, in den Schacht zu klettern, als Langdon heran war und ihn an den nackten Schultern packte. Die Haut des Mannes war nass vor Schweiß, doch irgendwie gelang es Langdon, ihn festzuhalten.
Der Geistliche wirbelte herum. »Was tun Sie da?«
Langdon war überrascht, als er seinem Blick begegnete. Der Camerlengo besaß nicht mehr die glasigen Augen eines verstörten Mannes, stattdessen zeigten sie Entschlossenheit. Das Brandzeichen auf seiner Brust sah furchtbar aus.
»Vater!«, drängte Langdon so ruhig, wie es ihm nur möglich war. »Sie können nicht dort hinuntersteigen! Wir müssen den Vatikan räumen!«
»Mein Sohn«, entgegnete der Camerlengo mit einer Stimme, die so vernünftig klang, dass es unheimlich war. »Ich hatte… eine Vision. Ich weiß…«
»Camerlengo!«, riefen Chartrand und die anderen. Sie kamen die Treppe herunter.
Als Chartrand das offene Gitter im Boden erblickte, erschien Angst in seinen Augen. Er bekreuzigte sich und warf Langdon einen dankbaren Blick zu, weil es ihm offensichtlich gelungen war, den Camerlengo aufzuhalten. Langdon verstand; er hatte genug über die Architektur des Vatikans gelesen, um zu wissen, was unter diesem Gitter lag: der heiligste Ort der gesamten Christenheit. Terra Santa. Manche nannten es die Nekropole. Andere nannten es Katakomben. Nach den Berichten der wenigen auserwählten Geistlichen, denen im Lauf der Jahre der Zutritt gestattet worden war, bestand die Nekropole aus einem dunklen Labyrinth unterirdischer Krypten, die einen Besucher für immer verschlucken konnten, falls er sich verirrte. Es war ganz und gar nicht der Ort, durch den man einen anderen Menschen jagte.
»Monsignore!«, flehte Chartrand. »Sie haben einen Schock erlitten! Wir müssen diesen Ort verlassen! Sie dürfen nicht dort hinunter! Es wäre Selbstmord!«
Der Camerlengo wirkte mit einem Mal vollkommen ruhig. Er streckte die Hand aus und legte sie auf Chartrands Schulter. »Danke für Ihre Sorge und Ihre Dienste, mein Sohn. Ich kann Ihnen jetzt nicht mehr erzählen. Ich könnte nicht einmal behaupten, dass ich es selbst verstehe. Aber ich hatte eine Offenbarung. Ich weiß nun, wo die Antimaterie ist.«
Alle starrten ihn sprachlos an.
Der Camerlengo wandte sich an alle. »Auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen. Das war die Botschaft. Die Bedeutung ist klar.«
Langdon konnte immer noch nicht glauben, dass der Camerlengo überzeugt war, die Stimme Gottes gehört, geschweige denn, die Botschaft verstanden zu haben. Auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen? Es waren die Worte, die Jesus zu Petrus gesprochen hatte, als er ihn zu seinem ersten Apostel ernannte. Was hatten sie mit dieser Sache zu tun?
Macri näherte sich, um eine weitere Großaufnahme zu machen. Glick war stumm, als hätte es ihm die Sprache verschlagen.
Der Camerlengo redete hastig weiter. »Die Illuminati haben ihr Zerstörungswerkzeug auf dem Grundstein dieser Kirche versteckt. Tief im Fundament.« Er deutete die steilen Stufen hinab. »Auf dem Felsen, auf dem diese Kirche erbaut wurde. Und ich weiß, wo dieser Felsen ist.«
Langdon war überzeugt, dass nun der Zeitpunkt gekommen war, den Camerlengo zu überwältigen. So klar er auch wirkte – er redete Unsinn. Ein Felsen? Der Grundstein im Fundament? Die Treppe vor ihnen führte nicht hinunter zum Fundament der Peterskirche, sie führte in die Nekropole! »Dieser Ausspruch ist doch nur eine Metapher, Vater«, hörte er sich sagen. »Es gibt keinen richtigen Felsen!«
Der Camerlengo erwiderte seinen Blick. »O doch, mein Sohn, den gibt es.« Er deutete in den Schacht hinunter. »Pietro e la pietra.«
Langdon erstarrte. In einem einzigen Augenblick wurde alles sonnenklar.
Die Einfachheit ließ ihm Schauer über den Rücken laufen.
Während Langdon mit den anderen dastand und in das Loch starrte, erkannte er, dass in der ewigen Dunkelheit unter der Peterskirche tatsächlich ein Fels begraben lag.
Pietro e la pietra. Petrus ist der Fels.
Das Vertrauen des heiligen Petrus in Jesus war so grenzenlos gewesen, dass Jesus ihn »seinen Felsen« genannt
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