Illusion - das Zeichen der Nacht
in die goldenen Augen des Tieres, das ihr das Leben gerettet hatte.
Es war ein Wolf. Oder besser gesagt, der Geist eines Wolfs. Diese Augen hätte Jana überall wiedererkannt. Ihr warmer Goldton hatte sich nicht verändert, seit sie sie zum letzten Mal gesehen hatte. Da war dieses Tier noch lebendig gewesen und hatte an Eriks Seite treu Wache gehalten.
»Danke, Garo«, sagte sie. »Hat er dich geschickt?«
Frag nicht, vernahm sie eine Stimme in ihrem Kopf. Du willst nichts von Dingen wissen, die nicht ins Reich der Lebenden gehören.
Jana nickte stumm. Auch Garos Geist schien ein Nicken anzudeuten.
Dann huschte er mit schnellen, leisen Schritten zur Tür. Sein Umriss hob sich nur ganz schwach von der Wand hinter ihm ab.
Als er draußen war, ließ er eine Spur aus Kälte zurück.
Jana wischte sich mit dem Handrücken die Tränen ab.
Ein weiteres Mal hatte Erik ihr das Leben gerettet.
Kapitel 3
N un war im Raum nichts Magisches mehr, bis auf das, was in manchen der Bücher schlummerte, die in den Regalen standen. Die übernatürliche Bedrohung im Spiegel war fort. Garo hatte sie zerstört.
Mit einem Seufzer kniete Jana sich neben den bewusstlos daliegenden Yadia. Mehrere Minuten vertiefte sie sich in diese groben Züge, das lange, weiß schimmernde Haar, das in so auffälligem Kontrast zu seiner ansonsten jugendlichen Erscheinung stand. Je länger sie ihn ansah, desto stärker wuchs ihre Enttäuschung. Auch das hier war wieder nur eine Maske und nicht das wahre Gesicht des Iriden. Seine magischen Fähigkeiten mussten wirklich unglaublich sein, wenn er den Zauber sogar während einer Ohnmacht aufrechterhalten konnte.
Mit ihren eigenen Möglichkeiten würde sie hier nicht weiterkommen, also versuchte sie, Yadia aufzuwecken, indem sie ihm die Fußspitze in die Rippen stieß. Der Junge verzog vor Schmerz das Gesicht und drehte sich weg, machte jedoch nicht die Augen auf.
Da hatte Jana eine Idee. Sie konzentrierte sich maximal, streckte den Zeigefinger aus und malte ihm ein S auf die Stirn, wobei sie leise eine mächtige Zauberformel ihres Klans aufsagte.
Als sie den Spruch wiederholte, begann der Buchstabe zu funkeln, als wäre er aus Gold. Beim dritten Mal ertönte neben Yadias Hals ein unheimliches Klappern. Das Zeichen auf seiner Stirn war zum Leben erwacht und hatte sich augenblicklich in eine lange Schlange mit goldenen Schuppen verwandelt.
Die Schlange glitt von Yadias Hals über seine Brust hinunter und wand sich ganz um seinen Oberkörper und schließlich auch um seine Arme herum. Die schlüpfrige Berührung des Reptils verfehlte nicht länger ihre Wirkung. Erschrocken riss Yadia die Augen auf und sein Blick fiel sofort auf Jana, die ihn verärgert ansah.
»Ist es vorbei?«, fragte er und richtete sich ein wenig auf, um etwas sehen zu können. »Was war denn überhaupt los? Ich habe wohl Glück gehabt … dass ich noch am Leben bin …«
Die letzten Worte waren nur noch ein Flüstern, denn er hatte die goldene Schlange entdeckt und starrte ihren dreieckigen Kopf an. In seiner Miene zeichnete sich blanker Ekel ab. »Nimm dieses Vieh da weg«, bat er. »Das ist ein Trick von dir, stimmt’s?«
»Das ist kein Trick, Yadia, oder wie auch immer du heißt. Diese Schlange verkörpert die Macht der Agmar-Zauberinnen. Wenn sie dich beißt, musst du meinem Willen gehorchen. Dann kannst du dich nicht mehr weigern, mir die Wahrheit zu sagen.«
»Das Agmar-Gift, ja, davon habe ich schon gehört.« Yadia setzte sich im Zeitlupentempo auf, um die Schlange nicht zu provozieren. »Muss das wirklich sein? Ich sage dir alles, was du wissen willst, ganz freiwillig.«
»Und das soll ich dir abkaufen?«, stieß Jana mit einem zornigen Lachen hervor. »Du machst mir was vor, seit wir uns kennen. Die verfluchte Geschichte vom Buch der Schöpfung! Da hattest du von Anfang an deine Finger drin. Darf man erfahren, was du eigentlich willst? Was hast du mit Alex gemacht?«
Der gequälte Ton der letzten Frage ließ Yadia offenbar aufhorchen. »Hör zu, Jana.« Er sprach ganz langsam, um das Reptil, von dem seine Freiheit abhing, nicht zu erschrecken, oder vielmehr um die Zauberin, die die Bewegungen der Schlange lenkte, nicht noch mehr gegen sich aufzubringen. »Es ist völlig absurd, dass du jetzt auf mich losgehst. Ich habe Alex nichts getan. Ich habe nur die Anweisungen befolgt, die ich bekommen habe. Argo hat zuerst gedacht, er bräuchte nur Alex, aber dann hat er es sich anders überlegt und wollte dich auch
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