Illusion - das Zeichen der Nacht
verwandeln. Ich sehe es richtig vor mir.«
David warf ihm einen schiefen Blick zu. »Ich dachte immer, Erik wäre dein bester Freund gewesen«, sagte er leise. »Wenigstens ihm zuliebe solltest du mit uns an einem Strang ziehen. Mit dem Buch könnten wir ihn aufwecken.«
»Und du meinst, dass ich das will?«, schrie Alex. Er war außer sich. »Das glaubst du wirklich? Du bist ein Idiot, David. Ein Vollidiot.«
Mitten in seinem Wutausbruch versetzte Alex seinem Freund erneut einen Stoß. David verlor das Gleichgewicht und fiel gegen die Steinwand. Er versuchte, den Aufprall noch mit der kranken Hand abzufangen, aber als der Handschuh auf die Wand traf, bot er keinen Widerstand, als wäre er hohl. David schrie vor Schmerz auf.
In diesem Moment hörte Alex ein Knirschen.
Er drehte sich gerade noch rechtzeitig um, um zu sehen, wie der Nosferatu die Augen öffnete. Seine Iris waren zwei schwarze Kreise, in deren Mitte ein Ibis funkelte. In jedem Auge ein Ibis, genau gleich, wie Zwillinge. Zwei Hieroglyphen, so alt wie die Geschichte der Welt, mit Feuer eingebrannt in die Finsternis dieses unmenschlichen Blickes.
»Er ist aufgewacht«, flüsterte David, der sich wieder aufgerappelt hatte. »Wieso denn? Jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr.«
Alex versuchte, ihm zu antworten. Er wollte ihm sagen, dass er es sehr wohl verstand, aber es gelang ihm nicht.
Er hatte plötzlich keine Stimme mehr.
Die steifen, mit Tattoos übersäten Beine unbeholfen eins vors andere setzend, stakste das Ungeheuer auf sie zu. Ein unerträglicher Schmerz fuhr in Alex’ Brust und Kehle, als zerfetzten ihn ein halbes Dutzend Messer von innen. Er versuchte auszuweichen, aber er konnte sich nicht rühren.
»Glückwunsch, David«, sagte der Nosferatu. Er hatte Alex’ Stimme, dasselbe tiefe, ein wenig raue Timbre, dieselbe Art der Betonung. »Du hast es geschafft.«
David richtete den Blick auf die Ibisse, die in den Augen des Ungeheuers feuerrot loderten. »Was … was ist passiert?«, stammelte er. »Was hast du mit meinem Freund gemacht?«
Der Nosferatu lachte. Ein einziges Auflachen, holprig, vermischt mit einem seltsamen Röcheln, hallte an den Wänden der Geheimkammer wider. »Freund. Findest du wirklich, das ist die richtige Beschreibung für ihn?«, spottete das Ungeheuer. Mit jedem Wort schien es an Selbstsicherheit zu gewinnen und sein leichenhafter Gesichtsausdruck wurde immer lebendiger. »Sprach deshalb so viel Hass aus seiner Stimme, dass sie einen Toten wieder zum Leben erweckt hat?«
Das war es also. Alex warf David einen flehenden Blick zu, aber Janas Bruder hatte nur Augen für den Nosferatu. Er wirkte fasziniert und gleichzeitig zutiefst erschrocken. Endlich hatte er sein Ziel erreicht: die Kopie des Buchs der Schöpfung aufzuwecken.
»Was willst du von mir?«, fragte er. Alex merkte, dass David zitterte. »Muss ich Angst vor dir haben?«
Wieder ertönte Gelächter, diesmal länger und menschlicher als beim ersten Mal. »Die ganze Welt sollte Angst vor mir haben, David. Macht ist immer zum Fürchten und in mir steckt ungeheure Macht. Aber ich bin dir dankbar, weil du mich aufgeweckt hast.«
»Ich habe gar nichts getan, um ehrlich zu sein. Ich weiß nicht einmal, wie es passiert ist. Alex hat mich weggestoßen, dann war er wohl der Auslöser.«
Die Augen des Nosferatu wanderten zu Alex, der wie zur Salzsäule erstarrt war, und durchbohrten ihn mit ihren züngelnden Ibissen. Alex krümmte sich vor Schmerzen, als hätte er einen Peitschenhieb empfangen, fiel auf die Knie und ging dann ganz zu Boden.
»Was hat er denn?«, fragte David erschrocken. »Warst du das?«
»Ich habe nur den Schlag an ihn zurückgegeben«, erwiderte der Nosferatu. Seine Lippenbewegungen waren nicht ganz synchron mit dem, was er von sich gab. »Das war doch richtig, findest du nicht?«
Einen Moment lang war David wieder anzusehen, wie wütend er gerade eben auf Alex gewesen war. »Er ist ohne Vorwarnung auf mich losgegangen«, antwortete er. Jetzt hatte er den Blick fest auf Alex gerichtet. »Ich hatte keine Ahnung, dass er mich so hasst …«
»So ist es aber. Er hasst alles, was du und deine Schwester verkörpert. Die Maske ist gefallen, dafür kannst du nichts. Du darfst dich jetzt nur nicht von ihm beirren lassen.«
Eine unerträgliche Kälte breitete sich immer weiter in Alex’ Inneren aus. Er unternahm noch einmal einen Anlauf, etwas zu sagen, David auf sich aufmerksam zu machen, um ihn dem Einfluss des Nosferatu zu entziehen,
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