Iluminai - Das Zeichen der Drachenhüter (Iluminai - Kabal Shar) (German Edition)
sich nicht dagegen wehren. Er kam sich wie eine willenlose Puppe vor, die auf einem Spielfeld hin und her geschoben wurde.
Als die Gesichtslosen seine Anwesenheit spürten, kam sofort Bewegung in sie. Sie ließen einander los und wirbelten herum, sodass ihre grauen Mäntel flogen.
Vier nackte Gesichter wandten sich Miray zu, der nun doch Estarius’ Griff zu entkommen versuchte. Er duckte sich und ließ sich zu Boden fallen, aber der graue Elb zerrte ihn in die Höhe und schüttelte missbilligend den Kopf.
„Dafür ist es jetzt endgültig zu spät, Miray“, sagte er. „Jetzt gibt es kein Entkommen mehr.“
Wie Recht Estarius damit hatte, ahnte der Elbenkönig wahrscheinlich nicht einmal selbst. Miray kam sich vor wie ein gefangener Hase, der einem Rudel Wölfe zum Fraß vorgeworfen wurde.
Die Gesichtslosen bildeten einen engen Kreis um ihn herum, und der Prinz spürte, wie ihn ein schrecklicher Ekel vor diesen hässlichen Männern ergriff.
Er hätte jetzt nach Jonkanur rufen können, aber er tat es nicht. Er wollte es nur hinter sich bringen, ganz gleich, was es ihn kostete.
Miray ließ sich zu Boden fallen und versuchte zwischen den Füßen der Gesichtlosen aus dem Kreis zu fliehen, aber einer der hünenhaften Männer bückte sich rasch und packte ihn an den Haaren. Er zwang Miray auf die Knie zurück und bog seinen Kopf nach hinten. Miray wollte schreien, aber es kam nur ein leiser, erstickter Laut über seine Lippen. Estarius hatte zwei Schritte Abstand genommen und sah dem Schauspiel mit unbewegter Miene zu.
Er wusste, was nun geschehen würde. Er hatte es selbst erlebt.
Die Gesichtslosen umdrängten Miray und legten ihre Hände auf sein Herz. Ein schrecklicher Schmerz durchjagte den Körper des Prinzen und ließ ihn erstarren. Einen Augenblick lang hatte er das Gefühl, als würde er in der Mitte entzwei gerissen werden. Dann wurde er in eine eisige Finsternis geschleudert, in der abscheuliche Bilder aus dem Nichts auf ihn zutrieben. Miray sah die Gesichtslosen, als sie noch menschlich gewesen waren. Menschen mit Gesichtern. Er sah ihre grausamen Taten, das Blut, das an ihren Händen klebte und dachte ihre abscheulichen Gedanken, die sich tief in seinen Geist bohrten.
Schreckliche Gedanken, die einen verfolgten, und die man nicht mehr loswurde. Die nicht enden wollten und immer wieder kamen, ohne dass man etwas dagegen tun konnte. Gedanken an hässliche Bilder, abscheuliche Taten, boshafte, schmerzliche Dinge.
Ein albtraumhafter Schrei erklang und zerriss die Finsternis, die sich über Miray gelegt hatte. Es dauerte einige Momente lang, bis der Prinz begriff, dass er selbst so geschrien hatte.
Er lag mit dem Gesicht nach unten im Gras und schöpfte nach Atem. Es war vorbei. Nur die Stelle, an der der Gesichtslose Miray an den Haaren gepackt hatte, schmerzte noch.
Der Prinz zitterte und konnte sich nur mühsam aufrichten. Die beklemmenden Gedanken geisterten immer noch in seinem Kopf umher, und etwas sagte ihm, dass er sie auch nie wieder ganz loswerden würde.
Die Gesichtslosen hatten sich abgewandt und drehten ihm nun den Rücken zu. Sie wirkten jetzt viel größer, als zuvor. Ihre Gewänder sahen aus, als wären sie von einem Leuchten überhaucht, und ihr Aussehen wirkte noch abstoßender als sonst.
Estarius trat zu Miray und half ihm auf die Beine.
„Was immer du jetzt vorhast, tu es, oder du hast keine Gelegenheit mehr dazu“, zischte der graue Elb ihm ins Ohr. Miray hob den Kopf und blickte ihn überrascht an.
„Frage mich bitte nicht, warum ich das tue, aber du bist doch nicht aus lauter Dummheit hergekommen.“ Estarius blickte ihn beschwörend an, und langsam klärten sich die Nebel, die sich um Mirays Geist zusammengezogen hatten.
Er tastete zitternd nach dem Amulett in seiner Hosentasche.
Estarius folgte mit dem Blick seiner Bewegung. Ein Funken von Verständnis leuchtete in seinen silbergrauen Augen auf.
„Tu es!“, zischte er noch einmal und nahm dann mit raschen Schritten Abstand.
Miray wusste nicht, warum Estarius ihm half. Er kannte den Elbenkönig nicht, und er hatte auch keine Zeit, ihn kennen zu lernen. Er wusste nur, er hatte sein Herz in seiner Brust und in diesem Herz lebten nun die vier Gesichtslosen, die wieder einen Kreis gebildet hatten, und ihn nicht mehr beachteten. Für sie war er nichts weiter als ein Gefäß, das sie wegstellen und hervorholen konnten, wann immer es ihnen beliebte.
Miray zog die zierliche Silberkette aus der Hosentasche, an der
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