Iluminai - Das Zeichen der Drachenhüter (Iluminai - Kabal Shar) (German Edition)
das Medaillon hing. Das Licht der Fackeln verfing sich darin und ließ es in den verschiedensten Farben aufleuchten.
Miray dachte daran, was das letzte Mal geschehen war, als er es sich um den Hals gelegt hatte und schloss die Augen, in der Erwartung, ein Sturm oder eine Explosion könnte ihn jeden Moment von den Füßen fegen. Er legte sich die Kette um und atmete zitternd. Nichts geschah!
Der Prinz öffnete die Augen und blickte auf seine Brust nieder. Das Amulett ruhte über seinem Herzen und leuchtete sanft. Es geschah immer noch nichts.
Es ist kaputt, schoss es Miray durch den Kopf. Die Gesichtslosen müssen es irgendwie beschädigt haben.
Er suchte mit den Augen nach Estarius, als er auf einmal ein leises Knarren über sich hörte.
Miray hob den Blick und sah die alte Eiche hoch oben. Ihre Äste bewegten sich. Wie eine spinnenfingrige Hand tasteten sie durch die Luft und näherten sich scheinbar lautlos dem Boden.
Die Gesichtslosen hoben witternd die Köpfe und wandten Miray ihre sinnlosen Schädel zu.
Der Prinz begann langsam zurückzustolpern. Die Gesichtslosen wandten sich raschelnd zu ihm um und hielten auf ihn zu.
Der Stamm der alten Eiche knarrte wie unter einem heftigen Sturm, bog sich zitternd herab, und dann umschlangen die Äste der Waldkönigin Miray und hoben ihn hoch, wie eine kleine Puppe.
Miray verspürte keinen Schmerz. Die Berührung war so sanft, als hätte sich der Baum in eine echte Hand verwandelt, die ihn sehr vorsichtig gepackt hielt.
Er wurde hoch über die Köpfe der Gesichtslosen gehoben. Immer höher, bis die Fackeln zu winzigen Lichtpunkten im Gewirr dunkler Zweige wurden und die zerrissenen Wolken, die über den Himmel jagten, immer näher rückten. Die Sterne glitzerten an ihren Rändern wie Diademe auf weichem Samt.
Wind erfasste Mirays Haar und wirbelte es ihm in die Augen. Als der Baum die höchste Stelle erreicht hatte, streckte er den Ast, mit dem er den Königssohn umschlungen hielt, über die Lichtung weit in den Wald ohne Namen hinein aus, wo sich eine andere Eiche über die Köpfe der gewöhnlichen Bäume hinweg erhob. Auch dieser mächtige und uralte Baum war zum Leben erwacht. Er reckte seine Asthand auf dieselbe Weise, wie der erste Baum, und als die Waldkönigin Miray fallen ließ, fing er ihn gekonnt auf. Wieder wurde der Prinz hochgehoben und blickte von weit oben auf den verfilzten Wald hinunter. Die Lichtung mit den Fackeln lag nun bereits weit hinter ihm. Er konnte die Berge hinter dem Wald sehen. Zwischen ihnen blinkte ein entferntes Leuchten.
Das muss die Stadt der Drachenhüter sein, ging es Miray durch den Kopf, während sich die mächtige Eiche weit auf die andere Seite hinüberneigte und den Ast dann langsam nach unten gleiten ließ.
Eine Minute später setzte der Baum den Prinzen auf dem harten Waldboden ab und drehte sich langsam in seine ursprüngliche Position zurück.
Miray hätte sich gerne bedankt, aber wie dankte man einem Baum?
Ein leises Wiehern ließ ihn zusammenfahren. Nicht weit von ihm bewegte sich etwas. Vorsichtig schlich Miray durch das Unterholz näher. Gleich darauf erkannte er die schwarze Windstute, die mit dem Zügel an einem der Bäume hing. Oder hielt der Baum die Rappstute vielleicht am Zügel fest?
Als Miray sich näherte, ließ der Baum die Lederriemen fallen, und Philemon trabte auf den Prinzen zu. Noch ein bisschen zittrig, schwang sich Miray auf ihren Rücken und gab dem Pferd die Fersen, damit es den Weg zurück zu ihrem Lager finden konnte.
43. Die Zeit steht still
Am fünfzehnten Tag des neunten Mondes im 345sten Jahr des Drachen Algament, ereignete sich, in der Nähe von Yrismin, etwas, das die Menschen Faranjomas so schnell nicht wieder vergessen würden.
Hunderte von Drachen wirbelten durch die Luft. Oder waren es vielleicht sogar Tausende? Wie sonst die Krähenschwärme, so fielen dieses Jahr Drachenschwärme überall ein.
Ein alter Waldbauer, der seinen Hof auf einer Lichtung im Wald von Sory betrieb und bisher den Ashjafal getrotzt hatte, stand an diesem Morgen vor seiner Scheune und sah eine riesige Schar kreischender, mit langen Lederflügeln bestückter, Drachen auf sich zurasen. Sie flogen über der Kuppe seines Anwesens eine Schleife und fuhren dann so knapp über ihn hinweg, dass er sich flach zu Boden werfen musste.
Überall wurden sie gesehen, zwischen Falgamond und Yrismin. Riesige Drachen mit buntem Schuppenkleid, das in der Morgensonne funkelte.
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