Im Abgrund der Ewigkeit
mehr waren als Freunde? Weit mehr? Dass wir uns zueinander hingezogen fühlen? Meinst du das?“, sprach ich aus, was er nicht zu sagen wagte.
Johannes setzte den Verschluss auf die Wasserflasche. Seine Bewegung geriet eine Spur zu hastig. Energisch drehte er den Deckel fest.
„Ich kann mich nicht an eine gemeinsame Vergangenheit erinnern. Und dass wir uns zueinander hingezogen fühlen, ist in dieser gottlosen Leere mehr als nur logisch. Wir sind die einzigen Menschen in dieser Einöde.“ Er sah mich an und seine dunklen Augen bohrten sich in meine. „Ich bin mir aber absolut sicher, dass ich Priester bin. Und ich bin felsenfest entschlossen, alle Pflichten zu erfüllen, die dieser Umstand mit sich bringt. Ich werde jeder Versuchung widerstehen.“
„Versuchung?“, flüsterte ich unter Tränen. „Mehr empfindest du nicht für mich?“
Johannes blieb mir die Antwort schuldig und wandte sich ab.
„Feigling!“, zischte ich, packte die Zügel meines Pferdes und schwang mich hinauf. Halb blind vor Enttäuschung und Wut rammte ich meinem Tier die Fersen in die Seite. Mein Fuchs machte einen Sprung nach vorne und begann, die Düne hinunter zu galoppieren. Seine Vorderhufe sanken bei jedem Satz tief ein und wir rutschten und schlitterten in halsbrecherischem Tempo der Ebene entgegen.
Ich hörte, wie Johannes laut „Lilith!“ rief, aber ich wollte und konnte mich nicht nach ihm umdrehen. Zu sehr hatten mich seine Worte getroffen und verletzt.
Mein Pferd wieherte, verharrte mitten im Schwung auf der Stelle und fiel fast zur Seite. Abrupt stieg es vorne hoch, sein Schnauben klang gequält und angsterfüllt. Vergeblich versuchte ich, mich auf seinem Rücken zu halten. Das Tier bockte und schleuderte mich aus dem Sattel. Ich segelte über seinen Hals, überschlug mich in der Luft und landete hart mit dem Rücken auf dem Boden.
Allein es war kein Boden.
Sofort begann ich zu sinken.
Treibsand ! - Ich strampelte wie wild, in dem Versuch, mich zu befreien. Aber ich steckte bereits bis zur Hüfte fest. Eine unbarmherzige Kraft zog mich in die Tiefe. Unaufhaltsam sank ich hinab. Ich streckte die Arme aus, um nach den Zügeln meines Fuchses zu greifen, der noch einige Schritte weitergerannt war und jetzt mit hängendem Kopf dastand. Doch ich erreichte sie nicht. Ich krallte mich in den Sand, der gab nach und floss um mich - lebendig, wie Wasser.
Ein Zischen ertönte und ein schwarzer Gegenstand fiel in den Sand. Wie eine Ertrinkende langte ich danach, um mich an einem der Geigenkästen festzuklammern, an dessen Griff jetzt ein Seil befestigt war.
„Lilith, halt dich fest!“, hörte ich Johannes schreien.
Meine Hände rutschten über die glatte Oberfläche des Kastens, fanden nirgends richtig Halt, weil die elenden Sandkörner wie ein Ölfilm darüber hinwegglitten.
Inzwischen steckte ich bis zu den Achseln fest. Mein Oberkörper wurde zusammengepresst. Ich hatte Mühe, Atem zu holen.
Verzweifelt legte ich meinen Kopf in den Nacken, um mehr Luft zu bekommen und zu verhindern, dass Sand in meinen Mund drang.
„Los Lilith! Nicht aufgeben! Du musst dich festhalten! Du musst!“, schrie Johannes.
Die Zeit fror ein. Ich sah mich selbst tief in dem Treibsand stecken. Vor mir der Geigenkasten, meine Hände wischten fieberhaft und nutzlos in Momentaufnahmen darüber. Ich verharrte in der Bewegung, nahm all die mir verbliebene Kraft zusammen und warf mich nach vorne. Zentimeterweise näherte ich mich dem Kasten. Ich umfasste ihn mit beiden Armen, presste ihn der Länge nach an mich. Damit war meine gesamte Energie verbraucht.
Der Geigenkasten fing an, zu sinken.
Ich fing an, zu sinken.
Sand lief mir ins Gesicht. Ich presste meine Lippen aufeinander. Sand drang mir in die Nase und schließlich auch durch meine geschlossenen Lider.
Ich war verloren.
Etwas veränderte sich. Durch den Kasten lief ein deutlicher Ruck. Beinahe wäre er mir entglitten. Sekundenlang war ich in der Dunkelheit gefangen. Und dann, unendlich zäh, aber doch stetig, bewegte sich der Koffer mit mir nach oben.
Luft erreichte meine Stirn, meine Augen. Ich blinzelte, alles war noch voller Sand. Ich spuckte und würgte. Aber ich ließ nicht los.
Jetzt konnte ich Johannes sehen. Er hatte die Beine tief in den Boden gestemmt und zog sein Pferd mit Hilfe des Zügels auf sich zu und vom Treibsand weg. Um das Sattelhorn hatte er den Strick geschlungen, an dessen anderem Ende mein Geigenkasten hing. Johannes schrie auf sein Tier ein, dessen Flanken
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