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Im Abgrund der Ewigkeit

Im Abgrund der Ewigkeit

Titel: Im Abgrund der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roxann Hill
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sah.
    „Genau!“, rief er beinahe. „Ich bin nicht nur Priester, sondern auch ein Musiker! Wie konnte ich das nur vergessen!“
    Er stand leicht schwankend auf, holte einen der Kästen zu uns herüber und öffnete den seitlichen Klappverschluss. Eine einzelne Geige lag darin. Er setzte sie an die Schulter, suchte noch eine Zeitlang nach dem Bogen und legte ihn, nachdem er ihn schließlich gefunden hatte, auf die Saiten.
    „Jetzt wirst du staunen!“
    Ich lehnte mich etwas bequemer an den Felsen, verschränkte meine Arme hinter den Kopf und blickte erwartungsvoll zu ihm auf.
    Johannes schloss die Augen und konzentrierte sich. Dann begann er zu spielen.
    Die Töne rissen tiefe Löcher in die Nacht. Es war, als würde mir jemand einen glühenden Nagel in die Zähne treiben.
    „Genug!“, rief ich. „Erbarmen!“
    Abrupt setzte Johannes sein Instrument ab und betrachtete es eingehend. „Das klang aber gar nicht gut.“
    „Nein“, gab ich ihm recht. „Ich glaube, du musst noch etwas üben. …Aber bitte nicht heute.“
    „Nein, nein“, sagte Johannes. Er packte die Geige mit hastigen Bewegungen weg, verschloss den Koffer und setzte sich zu mir.
    Ich reichte ihm die Flasche, er nahm einen Schluck.
    „Das brauche ich jetzt auch“, sagte ich und Johannes gab mir das Getränk zurück.
    „Ich verstehe das nicht“, sagte er. „Ich kann mich an nichts erinnern, was mein früheres Leben betrifft. Ich weiß nur, dass ich Priester bin. Und als du meintest, ich sei ein Musiker, war ich fest davon überzeugt, dass das stimmt.“
    Die Wärme wich aus meinem Körper. „Du hast keine Erinnerungen?“
    Johannes schüttelte den Kopf. „Ich bin vor ein paar Tagen aufgewacht. Hier, mitten in der Wüste. Neben mir standen mein Pferd und das Packtier. In meiner Tasche habe ich einen Pass gefunden. Einen schwarzen Pass. Darauf stand mein Name. Und ich fand einen Brief, in dem zu lesen war, dass ich nach Snowhill kommen muss, um die Seelen der Gemeinde zu retten. Ein Plan mit den Wasserstellen dieser Wüste lag daneben.“
    „Und du bist sicher, dass du in Snowhill erwartet wirst?“
    „Ich kann nichts mit Gewissheit sagen. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass ich das Richtige tue. Und irgendwann, unterwegs, werde ich mich erinnern. Und dann werde ich meine Pflicht tun, das weiß ich.“
    Ich sah ihn an. Im Schein des langsam erlöschenden Feuers wirkte er unirdisch, wie aus einer anderen Welt.
    Ich saß neben ihm, wagte nicht, ihn anzufassen, während sich meine Sehnsucht nach ihm ins Unermessliche steigerte.

21
     
    D er unbarmherzige Ton schrillte, ebbte ab und kehrte zurück. In regelmäßigen Abständen erklang das mir inzwischen vertraute Piepsen. Jemand rief aus der Ferne meinen Namen. Das war neu. Undeutlich und schwach konnte ich wach auf vernehmen. Ich brauchte all meinen Willen, um nicht in diese Ferne gezogen zu werden, die mir wie eine andere Realität vorkam.
    Mühsam öffnete ich die Augen. Der Signalton war verschwunden. Vor mir der gelbe Sand, weiter entfernt die Pferde – wenn sie schnaubten, konnte ich ihren Atem aus den Nüstern entweichen sehen. Es war noch kalt.
    Ich lag auf dem Boden, aber das erste Mal seit Tagen fror ich nicht. Ich steckte bis zur Nasenspitze unter einer etwas kratzigen Decke, ein warmer Körper schmiegte sich an mich, ein Arm lag schwer und beschützend über meiner Schulter, und ich hielt ihn mit beiden Händen fest.
    Behutsam streichelte ich über die sehnigen Finger, ein wenig schuldbewusst - gleichsam, als würde ich etwas Verbotenes tun. Der Atem in meinem Nacken war regelmäßig und tief. Johannes schlief noch.
    In der vergangenen Nacht hatten wir lange geredet, viel gelacht und ich hatte mich des Eindrucks nicht erwehren können, dass wir uns schon lange kennen mussten, auch wenn wir uns nicht erinnern konnten. Irgendwann waren wir dann eingeschlafen, jeder in seine eigene Decke gehüllt. Aber die eisigen Temperaturen hatten uns allem Anschein nach zusammengeführt.
    Der Atemrhythmus von Johannes veränderte sich. Im Aufwachen begriffen, streichelte er mit seiner freien Hand über mein Haar, bis er plötzlich innehielt, sich zurückzog und aufrichtete. Auch ich erhob mich und streckte mich, wobei ich so tat, als hätte ich nichts bemerkt, als hätte ich seine Liebkosung nicht gespürt.
    Ich drehte mich zu ihm um, und Johannes lächelte mich verlegen an.
    „Guten Morgen“, sagte er.
    „Hallo!“,  antwortete ich. Und weil mir nichts anderes einfiel, fügte ich

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