Im Abgrund der Ewigkeit
zu der Stimme um. Sie gehörte einer kleinen alten Frau, die rechts neben einem Fenster des Containers stand. Die Frau trug ein maßgeschneidertes Kostüm. Um ihren Hals schlang sich ein kreischgrünes Seidentuch und ihre Augen verschwanden hinter einer dicken Hornbrille. Sie wurde von einer älteren Dame begleitet. Diese war groß gewachsen und hielt sich kerzengerade, was ihre äußerst selbstbewusste Ausstrahlung zusätzlich betonte.
„Meine Schwestern Bärbel und Karin“, bemerkte Gerti und zeigte in Richtung des Fensters.
Asmodeo verbeugte sich leicht. „Danke Nanah, und wenn du erlaubst, stelle ich mich selbst vor. Graf Asmodeo di Borgese. Ich bin erfreut, Sie kennenzulernen.“
„Ein richtiger Graf“, sagte Karin, um verzückt anzufügen. „Und was für ein gutaussehender Teufel!“
„Er hat es allein nicht durch unsere Absperrung geschafft“, warf Gerti mit stolzer Stimme ein.
„Das ist sicher ein Erfolg, aber Samael dürfte vermutlich mächtiger sein, als unser Graf hier“, meldete sich Bärbel zu Wort.
„Wir dürfen uns keinesfalls auf unseren Lorbeeren ausruhen. Der Schutzzauber muss noch viel besser werden. Nur dann haben wir eine reelle Chance, dass er wirkt“, stimmte ihr Karin zu.
„Meine Damen, Sie werden es sicher verstehen, aber ich möchte dringend nach den Patienten sehen“, sagte Asmodeo mit der Andeutung einer erneuten Verbeugung.
Gerti gab ihm einen kleinen Schubs. „Geh nur, Asmo. Wir machen jetzt ohnehin Pause. Wir haben seit heute früh nichts mehr gegessen und dieser reizende Abt hat uns zum Mittagessen eingeladen. Vielleicht kommst du ja nach.“
„Vielleicht“, erwiderte Asmodeo. „Aber ich glaube kaum, dass ich Zeit dafür haben werde. Hier ist noch unheimlich viel zu tun.“
Gerti hob ihre Hand und strich ihm kurz und ungemein zärtlich über die Wange. „Natürlich Asmo. Lass dir alle Zeit der Welt. Wir kommen schon alleine zurecht.“
„Meine Damen?“ Asmodeo nickte den drei Schwestern zu, drehte sich um und trat in das Innere des Klinikkomplexes. Während er sich entfernte, hörte er noch, wie Bärbel wisperte: „Ein netter junger Mann! Er hat uns doch tatsächlich Damen genannt!“
Asmodeo kam zu einer angelehnten Tür. Dahinter vernahm er das monotone Piepsen medizinischer Geräte. Das Geräusch war im verhasst und doch fürchtete er den Tag, an dem er diesen penetranten Ton nicht mehr hören würde. Dann hätte er Lilith und Johannes für immer verloren.
Er zog die schwere Tür auf und betrat die Intensivstation. Dieselben Apparate, der gleiche Geruch. Sterile Hoffnungslosigkeit, Johannes und Lilith leblos auf ihren Betten, blass und durchsichtig ihre Haut.
Frau Dr. Naumann war gerade dabei, an einer computergesteuerten Konsole Daten abzulesen. „Wo hast du dich herumgetrieben, Blonder!“
Asmodeo erwiderte nichts. Er konnte seinen Blick nicht von Lilith und Johannes reißen.
„Du musst dich nicht aufregen“, fuhr die Ärztin fort. „Sie sind nicht tot. Noch lange nicht.“
„Ich weiß“, antwortete Asmodeo.
„Rein körperlich geht es ihnen sogar wieder relativ gut. Der Heilungsprozess hat eingesetzt. Aber…“, sie stoppte.
„Es sind zwei seelenlose Hüllen“, vervollständigte Asmodeo ihren Satz.
Die Ärztin presste kurz ihre Lippen zusammen, erhob sich und seufzte. „Keine Seele. So kann man das auch nennen.“
„Sie glauben nicht an die Existenz von Seelen?“
Frau Dr. Naumann zwang sich zu einem müden Lächeln. „Bis vor ein paar Tagen hätte ich mit einem entschiedenen Ja geantwortet. Aber jetzt…“ Sie folgte Asmodeos Blick.
Asmodeo schwieg.
„Aber jetzt“, fuhr sie fort, „weiß ich nicht mehr, was ich glauben soll. Ich habe den ganzen Vormittag über drei reizende alte Damen beobachten können, die mit Hilfe sehr netter aber recht enerviert wirkender Mönche eine Unmenge von Scheren und Messern draußen im Klosterhof vergraben und dabei ständig lateinisches Brimborium gemurmelt haben.“
Um Asmodeos Mund zeigte sich die Andeutung eines Lächelns.
„Verrückte Mönche, Hexen und ein Graf, der mitten im Gehen von einer unsichtbaren Wand zu Boden geworfen wird. Wo bin ich da nur hineingeraten!“
„Ist das ein Problem für Sie?“, erkundigte sich Asmodeo scheinbar sachlich.
Die Ärztin seufzte wieder, ging zu Lilith und zog deren Bettdecke gerade. Als sie sich Asmodeo zuwandte, wirkte sie ruhig und gefasst. „Es ist bereits Wochen her, dass ich den jungen Herrn Hohenberg, ich meine Johannes, in
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