Im Abgrund der Ewigkeit
zügelten unsere Pferde und deren Eisen krachten scheppernd auf den Steinen.
„Mein Name ist Cecilia. Jedenfalls steht das in meinem Pass.“
6
D ichter, fast undurchdringlicher Nebel kam auf, als wir weiterritten. Cecilia hielt an, um sich einen zusammengerollten Strick zu greifen, dessen eines Ende an ihrem Sattelknauf befestigt war. Mit einem energischen Ruck testete sie zunächst, ob der Knoten auch wirklich hielt. Dann reichte sie den Strick an mich weiter. „Bindet das Seil an eure Sättel, sonst verlieren wir uns. Achtet aber darauf, dass ihr noch genügend Abstand zueinander lasst.“
Nacheinander folgten wir ihrer Anweisung. Cecilia wartete, bis wir fertig waren, stieg ab und prüfte bei uns allen gewissenhaft den korrekten Sitz der Leine.
Anschließend kehrte sie zu ihrem Pferd zurück, saß auf, und obwohl sie sich nur wenige Meter vor mir befand, war ihre Gestalt lediglich ein verschwommener Schemen.
Sie setzte sich in Bewegung, das Seil ruckte, und mein Fuchs und die Tiere von Johannes und Clement folgten stoisch unserer Führerin.
Das undurchdringliche Weiß um uns herum wurde wenn überhaupt möglich, noch dichter. Der Schal vor meinem Mund war inzwischen völlig durchfeuchtet. Klamm hing er an meiner Haut. Dicke Wassertropfen fielen von der Krempe meines Hutes.
Tief aus meinem Inneren tauchte eine Angst auf. Ein Gefühl, das sich zunehmend vergrößerte, sich bis zu einer bebenden Panik auswuchs. Ich kannte diesen Nebel. Tausende Male war ich schon durch ihn geeilt. Immer wieder hatte er mir nach dem Leben getrachtet. Ich war auf dem Weg zu meinem sicheren Tod. Hier würde ich sterben.
Wind kam auf und die Schleier vor meinen Augen zerrissen. Ich begriff, dass es sich nicht um Nebel im eigentlichen Sinne gehandelt hatte, durch den wir geritten waren. Vielmehr hatten wir die Wolkendecke durchbrochen.
Mit einem Mal war unsere Sicht nicht mehr getrübt. Die letzten Strahlen der Abendsonne brachten die Eiskristalle rings um uns zu einem unwirklichen Leuchten. Ich stellte mich in die Steigbügel und sah mich um. Ein endloses Meer dichter Wolken verbarg das Tal unter uns. Das Licht glühte noch einmal auf, dann versank die Sonne in der unbeweglichen Schicht. Das Grau wurde intensiver, beinahe violett, Dunkelheit hüllte uns ein.
Wir lösten das Führungsseil und ritten schweigend nebeneinander her. Als wir eine Art Ebene überquerten, hatte ich den Eindruck, über abgeerntete Felder zu reiten.
Bald erschienen vor uns einige Lichter. Der Weg nahm an Breite zu, er veränderte sich zu einer Art Straße. An deren linker Böschung hing ein verwittertes Brett von einem Gerüst aus grob gezimmerten Balken.
Der unbarmherzige Wind hatte Schnee auf das Schild getrieben. Ich konnte in dem Zwielicht nur wenige Buchstaben erahnen.
„ Hell “ las ich laut vor.
Cecilia, der aufgefallen war, dass ich das Brett betrachtete, richtete sich im Sattel auf, packte ein Ende des Schildes und klopfte es energisch ab. Der Schriftzug Snowhill erschien.
„Passender Name, nicht wahr?“, bemerkte sie.
Weiter ging unser Ritt durch die Nacht. Kleine geduckte Holzhütten tauchten links und rechts von uns auf. Dicke weiße Schichten lasteten auf ihren Dächern und von ihren verrosteten Regenrinnen hingen Eiszapfen herab. Vereinzelt drang Rauch aus den Kaminen.
Die Gebäude standen in U-Form dicht beieinander. Das Licht, das wir gesehen hatten, stammte aus einem großen zweistöckigen Haus, welches unseren Weg blockierte und gleichzeitig das Ende der Straße markierte. Ein mächtiger Baumstamm, mehrere Meter lang, lag davor. Offensichtlich hatte man vor dem Winter versäumt, ihn wegzuräumen.
Cecilia zügelte ihr Pferd, schwang sich behände aus dem Sattel und warf ihre Zügel über einen Holm, der sich neben einem Trog befand. Sie ging die Stufen zur Veranda empor und drehte sich zu uns um.
Wir saßen noch auf unseren Pferden.
„Worauf wartet ihr?“, rief sie uns zu.
„Erst müssen wir die Tiere versorgen. Sie haben einen harten Ritt hinter sich“, sagte Johannes.
„Das erledigen unsere Leute für euch. Kommt nur herein. Ihr werdet erwartet.“
Wir saßen ebenfalls ab, banden unsere Tiere fest und folgten Cecilia auf die überdachte Holzterrasse. Clement kam als Letzter zu uns herauf. Ich bemerkte, dass er seinen Poncho zurückgeschlagen hatte und leicht, fast unmerklich seine Schultern kreisen ließ. Ich wusste, was er damit bezweckte. Er lockerte seine Muskeln, um schnell reagieren zu können, falls
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