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Im Abgrund der Ewigkeit

Im Abgrund der Ewigkeit

Titel: Im Abgrund der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roxann Hill
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kannst du nicht sagen, wer sie sind“, stellte Clement fest.
    Ich schüttelte den Kopf.
    „Aber vielleicht“, fuhr er fort und bedachte mich mit einem nachdenklichen Blick, „vielleicht bringt die Melodie deine Erinnerung zurück.“
    „Nun, bislang hat sie es nicht getan“, antwortete ich trotzig.
    Clement lächelte. „Musik hat eine seltsame Wirkung auf Menschen. Sie weckt die sonderbarsten Gefühle.“ Mit Daumen und Zeigefinger drehte er das Rädchen, das die Feder für das Spielwerk aufzog. Mehrmals knackte es leise. Dann hob er das Medaillon, die Flammen vervielfältigten sich in den Diamanten und warfen ihr Funkeln auf mich.
    Wie immer besaßen die Töne keinen Zusammenhang. Sie folgten ohne Beziehung aufeinander, bis ihre wunderschöne Melodie entstand. Meine Schläfrigkeit nahm zu. Mein Blick rutschte von dem Medaillon ab und wurde vom Feuer gefangen genommen.
    Die Glut brannte sich in meine Seele.
     
    Blauer Himmel, eine wärmende Sonne, das Zwitschern von Vögeln. Vor mir ein großer Park.
    Ein Junge spielt im saftigen Gras. Der dunkelgrüne Samtanzug mit den knielangen Hosen steht ihm gut. Das rüschenbesetzte Damasthemd hat ein kleines Vermögen gekostet. Sein rotblondes Haar reicht ihm fast bis auf die Schultern. Wenn er sich bewegt, schwingt es fließend mit. Er rennt zu der Mauer, die das Grundstück begrenzt. Hinter zahllosen Blumen und blühenden Büschen hat sich ein Spalt in den Ziegelsteinen gebildet. Ein Gesicht lugt hindurch. Üppige schwarze Locken, Augen, aus denen die pure Lebensfreude spricht. Ein Mädchengesicht voller Glückseligkeit.
    Sie streckt ihm ihre kleine Hand entgegen. Er ergreift sie und zieht sie langsam aber bestimmt zu sich her.
    Die Bilder ändern sich…
    Es ist Nacht. Die zwei Kinder laufen vor mir, begleitet von unserer Magd. Der Junge und das Mädchen tragen identische Capes.
    Die Luft ist erfüllt von unbeschreiblichen Düften. Gewürze aus fernen Ländern, gegrilltes Fleisch, Glühwein und heiße Bowle.
    Beinahe verliere ich die Kinder aus den Augen. Es beginnt zu regnen, leicht und mild. Die Kinder schlagen ihre Kapuzen hoch. Sie betrachten einen Artisten. Sie stehen im Halbkreis mit Dutzenden anderer Leute. Vor ihnen ist ein Mann, er trinkt aus einer Flasche, schluckt aber nicht herunter, sondern behält die Flüssigkeit in seinem Mund. In der freien Hand trägt er eine Fackel an einem langen Stab. Er beugt sich nach hinten, hebt den Kopf in den Nacken, öffnet seine Lippen und ein feuriger Atem von gelb-roten Flammen bricht hinaus in die Dunkelheit.
    Das Rot wird dichter, verdrängt die anderen Farben, die Umrisse verlieren ihre Konturen.
    Alles endet im Rot.
    Blut ist überall.
     
    Sanft schüttelte mich Johannes an der Schulter. Ich erwachte wie aus einem tiefen Traum.
    „Die zwei Kinder“, sagte ich.
    „Was ist mit denen?“, fragte er.
    „Sie hießen Eugen und Judith.“
    Der Rauch zog nur langsam aus unserem Unterstand. Es roch stickig und verbrannt.
    „Eugen“, wiederholte ich leise und die dunklen Augen von Johannes waren direkt vor mir. Niemand sonst konnte mich hören. „Eugen war mein Sohn.“

5
     
    A m späten Nachmittag des nächsten Tages verloren wir den Weg. Zunächst machten wir uns darüber keine Gedanken. Wir ritten einfach in der Richtung weiter, die wir die letzten Tage eingeschlagen hatten. Irgendwann würde der Pfad wieder erkennbar sein. Nach einer guten halben Stunde standen wir vor einer unüberwindbaren Steinwand. Links und rechts ein schier endloses Geröllfeld. Hoch über uns, unerreichbar, begann Wald.
    Wir kehrten um, ritten auf unseren Spuren zurück und versuchten eine andere Route. Auch dieser Versuch endete vor einer Barriere aus hohen Felsquadern.
    „Was jetzt?“, fragte Johannes, doch weder Clement noch ich wussten darauf eine Antwort.
    „Wir haben vielleicht noch eine Stunde Tageslicht“, sagte ich. „Wir sollten uns einen Unterschlupf suchen und morgen mit dem ersten Sonnenstrahl brechen wir wieder auf. Dann werden wir den Weg schon finden.“
    „Wie du meinst“, knurrte Clement. „Aber das ist eine ziemlich unübersichtliche Gegend hier. Vielleicht ist der Pfad sehr eng und überhaupt nicht als solcher zu erkennen und wir sind schon mehrere Male an ihm vorbeigeritten. Morgen werden wir vor dem gleichen Problem stehen.“
    „Positives Denken erleichtert alle Stresssituationen“, bemerkte Johannes trocken und über das Gesicht von Clement huschte der Anflug einer Zornesröte.
    Ich ritt etwas näher an

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