Im Alphabet der Häuser: Roman einer Stadt (German Edition)
May, über dessen Herkunft die Meinungen auseinandergehen. In manchen Quellen wird er als Jud von Venedig, in anderen als Jud von Günzburg bezeichnet, auch wird angenommen, dass er aus Polen über Prag nach Innsbruck kam, wo er seit etwa 1570 einen Laden in der Hofburg betrieb. Damals war Ferdinand II . Landesfürst von Tirol.
So hart Ferdinand auch gegen die Täufer vorgeht, wie viele seiner Amtskollegen weiß er genau, die Juden haben Kapitalkraft. Auch wird man sie rasch wieder los, denn die Hofjuden, wie man sie nannte, sind an befristete Aufenthaltsgenehmigungen gebunden, unterstehen einzig der landesfürstlichen Gerichtsbarkeit und zahlen erhebliche Schutzgebühren dafür – den Leibzoll. Was den Landesfürsten ein Ass im Ärmel ist, deuten die städtischen Kaufmannschaften als mieses Blatt, sie laufen Sturm gegen die unliebsame Konkurrenz:
„Uns ist neuerlich berichtet worden, daß sich etliche viele fremde Juden bei dem allhiesigen Samuel May, Jude, aufhalten und sich allerlei seltsamer jüdischer Sitten nicht allein in Samuels Haus und Wohnung, sondern auch öffentlich zu männiglicher großer Ärgernis und Verachtung des Christentums ohne einige Abscheu gebrauchen. Gleichfalls und besonders wurde uns berichtet, daß genannter Samuel May am vergangenen Festtag Corporis Christi auf der Stegerbäckerin, Witwe, beschehenes Fragen, wie ihm dieses Actus des gehaltenen Umgangs und gebräuchigen Umtragens der Figuren und Historien der Passion gefallen, ganz spöttischer und verächtlicher Weise geantwortet habe, die Juden haben Christo recht getan, und daß sie ihm nur ärger und greulicher mitgespielt, hätte er wohl verdient.“
Solcherlei Verleumdungsversuche sind gang und gäbe und stoßen bei den Stadtoberen auf offene Ohren, ja werden noch verstärkt, denn es sei wissentlich und wahr, wo und an welchen Enden Juden hausen und wohnen, dass daselbst weder Glück, Heil und Segen, wie es in einer Quelle heißt. Ferdinand ignoriert dieserart Beschwerden, die luxuriöse Hofhaltung mag ihm dazu raten. Wie viel die jüdische Finanzkraft Ferdinand und seinen Nachfolgern wert ist, zeigen zahlreiche der Familie May zugestandene Privilegien. Dabei handelt es sich jedoch lediglich um Beseitigungen von Schikanen, die Familie May wird vom Leibzoll und vom Tragen des Judenzeichens befreit.
Judenzeichen, die gab es damals schon?
„Juden und Sarazenen beiderlei Geschlechts in jeder christlichen Provinz und zu allen Zeiten sollen in den Augen der Öffentlichkeit durch die Art ihrer Kleidung von anderen Völkern unterschieden sein.“
Dieser Beschluss wird 1215 beim Laterankonzil unter Papst Innozenz III . gefasst. Freilich, manche behaupten zu Recht, dass diese Diskriminierungsmethode keine Erfindung der katholischen Kirche, sondern schon im 8. Jahrhundert im Islam bezüglich Christen und Juden üblich war, vergessen dabei aber gern, dass es in den muslimischen Ländern viel seltener als in Europa zu Übergriffen auf religiöse Minderheiten kam; Grund dafür war die im Koran vorgeschriebene Achtung Angehöriger der so genannten Buchreligionen.
Wie sah diese Kennzeichnung aus?
Das divergierte regional. Die meisten Länder setzten auf den Gelben Ring, auch Judenfleck, Judenring oder Judenkreis genannt. Das Zeichen musste deutlich sichtbar – vorne auf Brusthöhe – angebracht werden. Dem geistigen Mief jener Zeit schienen keine Grenzen gesetzt zu sein, eine Karikatur wurde populär, die Judensau. Erste Spottbilder tauchten schon im 13. Jahrhundert auf, einen der Höhepunkte in Sachen Verhöhnung markierte das Judensau-Relief an der Stadtkirche in Wittenberg, es zeigt – Aber lassen wir doch einen, der dort predigte, das Bild beschreiben!
„Hinter der Saw stehet ein Rabin, der hebt der Saw das rechte Bein empor, und mit seiner lincken hand zeucht er den pirtzel uber sich, bückt und kuckt mit grossem vleis der Saw unter dem pirtzel in den Thalmud hinein, als wolt er etwas scharffes und sonderlichs lesen und ersehen.“
Ähnliche Darstellungen lassen sich vielerorts finden, ob in Köln, Frankfurt am Main, Salzburg oder Basel, am Dom zu Uppsala in Schweden und an der Kathedrale im französischen Metz, vom belgischen Aarschot bis ins deutsche Zerbst – ein ABC abgrundtiefster Ungeheuerlichkeit. Bildhafte Diskriminierungen dieser Art sind für Innsbruck nicht belegt, Übergriffe sehr wohl. Wiederholt prahlen Handwerker und Studenten damit, Juden von den Gassen vertrieben, ihre Häuser gestürmt, die Bewohner mit
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