Im Alphabet der Häuser: Roman einer Stadt (German Edition)
Hexenprozesse, Bettler, Juden, Randgruppen werden noch strikter marginalisiert, Sündenböcke müssen her.
Ob das mit rechten Dingen zugeht, grübelt Maria, vor einer halben Stunde noch schien die Sonne, nun ist der Himmel plötzlich von schweren Wolken verhangen. Bloß nicht wieder so ein Unwetter wie im Jahr 40, da stand das Wasser hier im Garten einen halben Meter hoch. Schon gehen schwere Blitze über der Stadt nieder, Maria eilt zurück ins Haus, schaut von der Türschwelle aus noch einmal zurück in den Garten, den einst, das weiß sie von ihrem Vater, der Maestro höchstpersönlich benutzt hat.
47
Und wer ist der Maestro höchstpersönlich?
Johann Stadlmayr, einer der führenden Vertreter der musica sacra außerhalb Italiens. Er lebt von 1575 bis 1648 und bekleidet ab 1607 über vier Jahrzehnte das Hofkapellmeisteramt in Innsbruck. Von Stadlmayr erscheinen 21 Opera im Druck, davon alleine 14 in Innsbruck. Weitere Werke kommen in Wien, München, Augsburg und Antwerpen zur Drucklegung; seine Kompositionen finden sich heute zum Großteil in Klöstern, Stadt-, Staats- und Universitätsbibliotheken zahlreicher Länder Europas. Übrigens, das Haus, in dem du wohnst, war Stadlmayr grundzinspflichtig. Und noch ein weiteres in dieser Straße durfte er sein Eigen nennen, auf dem Heimweg kommst du daran vorbei, Innstraße 11. Schließlich ließ Erzherzog Leopold, um sich Stadlmayrs Dienste zu versichern, dem Hofkapellmeister ein Anwesen zukommen. Lange konnte ich das Haus, das Leopold V. Stadlmayr schenkte, nicht finden. Stundenlang bin ich die Maria-Theresien-Straße auf- und abgegangen auf der Suche nach der Nummer 28, wusste ja nicht, dass es dieses Haus nicht mehr gibt, ärgerlicher aber – mir war das all die Jahre nie aufgefallen.
Und was ist mit dem Haus passiert?
Es fiel der Stadterweiterung zum Opfer, befand sich ungefähr dort, wo heute die Anichstraße anfängt, die war bis Mitte des 19. Jahrhunderts ein Feldweg. Doch zurück zu Stadlmayr: Der stammt aus der Umgebung von Freising, fand im Alter von 28 Jahren bei der Salzburger Hofkapelle Anstellung und stieg bald zum Kapellmeister auf. Dass er dieses ehrenhafte Amt zugunsten einer Anstellung in Innsbruck aufgab, zeigt doch, dass die Tiroler Landeshauptstadt zu jener Zeit als Standort, wie man heute sagen würde, einen guten Ruf genossen hat.
Spar dir dein Loblied auf die Provinz!
Wie sehr auch die Erzherzogin Stadlmayr schätzt, lässt sich daran ermessen, dass durch ihre finanzielle Unterststützung alleine im Zeitraum von sechs Jahren acht Sammelwerke des Komponisten in den Innsbrucker Werkstätten des Hofdruckers Michael Wagner erscheinen. Claudia de Medici, die nach dem Tod Leopolds von 1632 bis 1646 die Regentschaft für ihren noch minderjährigen Sohn Ferdinand Karl übernimmt, wird dem Johann Stadlmayr zum Glücksfall. Und letztlich auch dem Michael Wagner. Den aus dem bayerischen Deubach stammenden Buchdruckergesellen wird wie Stadlmayr der gute Ruf der Stadt hierher gelockt haben. 1637 heiratet Wagner die Witwe des Druckereibesitzers Hans Gäch, zwei Jahre später, am 11. Oktober 1639, erteilt ihm Landesfürstin Claudia de Medici die Gewerbekonzession: Hör zu!
„Wir, Claudia, bekhennen offentlich mit diesem Brieff und thuen kundt meniglich, demnach unns Michael Wagner von Deubach in Unnterthänigkeit zu erkennen geben, wellichermassen er auf ableiben wailand Hans Gächen, gewessten Puechdruckher und Puechfürers allhie nachgelassenen Witib in eheliche Verheyratung sich eingelassen, vorhabens sein erlehrnte Kunsst der Puechtruckherey neben der Puechfürerey zu yeben und zu treiben“ –
48
Von wegen guter Ruf der Stadt! Liegt doch auf der Hand, warum Wagner heiratete!
Mag sein. Auf jeden Fall hält sich Wagners Trauer in Grenzen, als seine Frau zwei Jahre nach der Hochzeit stirbt. Aus der erheirateten Druckerei und Buchhandlung ist ein prosperierendes Unternehmen geworden, das 1642 sogar den Ankauf jenes Gasthauses erlaubt, das die Legaten aus dem Friaul in ihrem Bericht erwähnen.
Wagner wird Besitzer des Goldenen Löwen?
So ist es. Damit kann Wagner von der Gaststube aus nicht nur hinüberblicken auf das Handelshaus May, sondern er wird auch stets daran erinnert, dass er noch längst nicht am Ziel seiner Geschäftsträume ist, denn in unmittelbarer Nähe befindet sich das Haus des Hofdruckers Paur. Die Mays wie die Wagners treiben ähnliche Interessen, es geht ihnen um Besitzerweiterung, und als Hieronymus Paur, der letzte
Weitere Kostenlose Bücher