Im Angesicht der Schuld
stammt. Wahrscheinlich haben sie dich nochmals nach deinem Alibi gefragt, weil ihr beide euch für diesen Abend in der Kanzlei verabredet hattet. «
» Eine Verabredung, die ich nicht eingehalten habe. Ich bin ziellos durch die Straßen gelaufen, um meinen Frust loszuwe r den. Ich war enttäuscht, weil Gregor sich so wenig kooperativ gezeigt hat. « Sekundenlang bedeckte sie ihr Gesicht mit den Händen. Als sie sie sinken ließ, sah sie mich beschwörend an. » Du glaubst nicht, wie oft ich mir nach Gregors Tod gewünscht habe, ich hätte meinen blöden Stolz überwunden und wäre trotz seiner wenig hilfsbereiten Haltung an jenem Abend noch bei ihm vorbeigegangen. Vielleicht wäre er dann noch am Leben. « Sie putzte sich die Nase und wischte sich die Wimperntusche unter den Augen fort.
» Ich möchte nur wissen, wer dieser letzte Besucher war. «
» Selbst wenn noch jemand aus seinem privaten Umfeld bei ihm war, heißt das noch lange nicht, dass derjenige auch der Mörder sein muss. «
Ich dachte darüber nach. » Stimmt. Aber wenn derjenige nichts zu verbergen hat, könnte er das der Polizei ja sagen. «
» Außer er fühlt sich schuldig. Was, wenn die beiden eine ganz grundlegende Auseinandersetzung hatten, etwas, das so ans Eingemachte ging, dass Gregor darauf mit einem Kurzschluss reagiert hat? «
» Das kann ich mir nicht vorstellen. «
» Denk nur mal an diese Mutter, Helen, die, deren Kind Gregor überfahren hat. Wenn sie nun bei ihm war und ihm schwere Vorwürfe gemacht hat … Soweit ich weiß, hat sich der Todestag dieses Babys gerade erst gejährt.
Was, wenn ihr die Sicherungen durchgebrannt sind und sie ihm so zugesetzt hat, dass er keinen anderen Ausweg wusste, als … « Sie schluckte hart und sah mich mit weit aufgerissenen Augen an. » Glaubst du, sie würde die Wahrheit sagen, falls es sich so zugetragen hätte? «
» Gregor hat sich am Freitag vor seinem Tod mit ihr getro f fen «, murmelte ich.
A nnette war nicht lange geblieben. Bevor sie ging, hatte sie an meine Freundschaft appelliert und mich beschworen, ihr zu verzeihen. Wie hätte ich mich dem verweigern sollen?
Sie war gerade erst fort, als das Telefon klingelte. Da ich nicht in der Stimmung war, mit jemandem zu sprechen, ließ ich den Anruf aufs Band laufen.
» Guten Tag, Frau Gaspary. « Ich erkannte die Stimme sofort. Sie gehörte Beate Elverts. » Falls Sie noch Interesse an einem Gespräch haben, dann können wir uns morgen um fünfzehn Uhr im Petit Café treffen. «
Ich hatte mehr als vierundzwanzig Stunden Zeit, um mich zu entscheiden. Wollte ich sie wirklich noch einmal sehen? Sollte tatsächlich sie Gregors letzte Besucherin gewesen sein, wie Annette es indirekt unterstellt hatte? Und wenn ja, aus welchem Grund sollte sie diese Tatsache preisgeben? Ich beschloss, meine Entscheidung davon abhängig zu machen, ob Mariele Nowak Zeit hatte, sich um Jana zu kümmern.
Wie sich herausstellte, hatte sie nicht nur für meine Tochter Zeit. Um halb eins am Sonntag folgten wir ihrer Einladung zum Mittagessen. Als wir uns an ihren Esstisch gesetzt hatten, hob sie voller Vorfreude den Deckel einer Porzellanterrine.
» Voilà … Königsberger Klopse! Ich habe mir gedacht, es ist ein Gericht, das Sie vielleicht noch aus Ihrer Kindheit kennen und an das Jana sich später gern erinnern mag. Ich hoffe, Sie mögen es, Frau Gaspary. «
» Es war mal eines meiner Lieblingsgerichte, ich habe es lange nicht mehr gegessen. «
» Dann greifen Sie zu. «
Ich belud erst Janas und dann meinen Teller. Die Größe uns e rer Portionen war in etwa gleich. Ich dachte an Eliane Sterns Worte und nahm mir vor, meinen Teller zu leeren, egal, wie lange es dauern würde.
Als Jana aufgegessen hatte und versuchte, aus ihrem Stuhl zu klettern, nahm meine Nachbarin sie auf den Schoß und schaute sich zusammen mit ihr ein Buch an.
» Wenn Sie später Ihre Verabredung haben, gehe ich mit Jana in den Park, ist Ihnen das recht? «
» Natürlich. Danke! « Mit der Gabel schob ich eine Kaper quer über meinen Teller. » Warum lügen Menschen? «
» Weil sie etwas zu verbergen haben … weil ihnen etwas unangenehm ist oder sie sich schämen … weil sie sich selbst besser darstellen wollen, als sie sind. Weil sie jemanden schonen wollen. Es gibt viele Gründe. « Sie blätterte eine Seite von Janas Buch um und zeigte auf etwas, was meinem Blick verborgen war. » Angst vor falschen Verdächtigungen kann auch solch ein Grund sein. «
» Meine Freundin hat
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