Im Auftrag der Liebe
wider.
»Ich rufe dich an«, versprach ich, »sobald ich da bin.«
Sean räusperte sich. »Soll ich gleich zurückrufen?«
»Das wäre toll.« Ich schnappte mir meine Jacke und wühlte im Schrank herum, auf der Suche nach passenden Schuhen, Strümpfen und meiner Red-Sox-Mütze.
Dovie stemmte die Hände in die Hüften und starrte mich an. »Du kannst jetzt nicht einfach verschwinden.«
»Tut mir leid, Dovie, aber die brauchen Hilfe bei der Suche nach dem kleinen Jungen. Ich muss los.«
»Du würdest deine alte Großmutter doch nicht belügen, oder?«
»Sag Marisol schöne Grüße.« Ich flitzte durch die Haustür nach draußen in die Kälte, das Handy noch immer umklammert.
Eigentlich hätte ich mich ja schlecht fühlen sollen, weil sich jetzt Marisol mit Butch herumschlagen musste. Meine Gedanken hätten sich um den kleinen Jungen drehen sollen, der im Wald umherirrte – immerhin wollte ich mich wirklich auf den Weg machen, um bei der Suche nach ihm zu helfen. Oder sogar um Michael Lafferty und darum, wie die Suche nach einer Partnerin für ihn mein Leben plötzlich auf den Kopf gestellt hatte.
Aber stattdessen konnte ich nur an eines denken, nämlich an Sean Donahue und daran, dass ich seine Stimme so gerne noch einmal hören wollte.
Ich hätte es wirklich besser wissen sollen.
◊ 6 ◊
M ein Handy klingelte zehn Minuten später, als ich die Route 228 entlangfuhr auf dem Weg zum Haupteingang des Wompatuck State Park. Der Mond am Nachthimmel spendete nur wenig Licht. Auch die spärlichen Straßenlaternen kamen gegen die Dunkelheit kaum an. Mein Fernlicht durchschnitt die Finsternis. Alte Häuser im Kolonialstil säumten die Hingham Road. Die meisten davon hatten endlose Zufahrten, perfekt gepflegten Rasen und entsprachen einer eher gehobenen Preislage.
Vorsichtig langte ich mit einer Hand nach dem Handy.
»Will ich wissen, was das alles sollte?«, fragte Sean.
Mich überrollten verwirrende Wellen des Verlangens, als ich seine Stimme hörte. Aber ich war schließlich keine Dreizehnjährige, die sich zum ersten Mal verguckt hatte, obwohl ich mich gerade genauso fühlte. Ich musste mich jetzt wirklich am Riemen reißen. Immerhin kannte ich diesen Mann ja kaum. Wie lange hatten wir miteinander gesprochen, höchstens zehn Minuten?
Aber die Vision …
Ich schüttelte den Kopf. Dieser Vision konnte ich einfach nicht trauen. Und der Anziehungskraft, die Sean auf mich ausübte, auch nicht. Ich durfte Amors Fluch nicht vergessen.
Aber ein kleines Techtelmechtel wäre doch nett …
Ich nahm mich zusammen. Ein Techtelmechtel kam überhaupt nicht infrage. Er hatte eine Freundin. Schluss, aus, Ende der Durchsage. Lucy, jetzt hör auf, dich wie ein liebestoller Idiot aufzuführen.
»Lucy, sind Sie noch dran?«, wollte er wissen.
»Ja, bin ich«, versicherte ich. »Entschuldigung. Hier ist es dunkel und es gibt ziemlich viele Kurven.«
»Wo sind Sie denn?«
»Auf dem Weg nach Wompatuck.«
»Der kleine Junge?«, fragte er.
»Ich werde mithelfen und mein Bestes geben, damit er bald gefunden wird.«
»Wie nobel.«
»Wohl kaum. Ich wollte den Kuppelversuchen meiner Großmutter entkommen.«
»Klingt nach einer interessanten Story.«
»Mehr als nur einer«, grunzte ich und dachte an die unzähligen Male, bei denen Dovie sich bemüht hatte, mich unter die Haube zu bringen. Aber mit Sean über Liebesdinge zu sprechen verhieß nichts Gutes über meinen Geisteszustand. Ich musste das Thema wechseln. Und zwar schnell. »Haben Sie Neuigkeiten für mich?«
Ich hörte Papier rascheln. Vor mir konnte ich jetzt die Lichter weiterer Wagen erkennen und blendete ab. Nachts war ich nicht so gerne mit dem Auto unterwegs und fuhr deshalb viel zu langsam, sozusagen im Schneckentempo.
»Ich habe ihre Eltern ausfindig gemacht, Martin und Regina, die wohnen jetzt in Lynn. Jennifer hat auch noch eine ältere Schwester namens Melissa Antonelli, die ebenfalls dort lebt. Merkwürdigerweise konnte ich zu Jennifer selbst keine Informationen mehr finden, seit sie das College abgeschlossen hat«, erklärte er. »Und leider gibt es da draußen viele Jennifers.«
»Dann wird sie also nicht … vermisst?«
»Ich habe jedenfalls keine Hinweise darauf gefunden, und über so etwas wäre ich bestimmt gestolpert. Gibt es da irgendetwas, was Sie mir nicht verraten haben?«
Viel zu viel, um jetzt damit anzufangen. »Eigentlich nicht.«
Er schwieg kurz, bevor er dann hinzufügte: »Möchten Sie, dass ich Jennifers Eltern anrufe? Und sehe,
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