Im Auftrag der Liebe
anhören. Bis dahin sollte ich mir wohl besser etwas Schlaf gönnen.
Ich ging ins Wohnzimmer, schloss die Haustür ab und wollte gerade das Licht ausschalten, als mein Blick auf die Mappen fiel, die ich von der Arbeit mit nach Hause gebracht hatte.
Sie sahen aus, als ob jemand darin geblättert hätte.
Ohne Zweifel Dovie.
Ich sah ein paar davon durch und unterdrückte ein Gähnen. Es gab da nichts, was nicht bis zum nächsten Morgen warten konnte. Ich legte die Unterlagen zurück auf den Tisch, als mir ein Stück Stoff in leuchtendem Orange auffiel.
Es gehörte zu Michael Laffertys Dossier.
Das zog ich aus dem Stapel heraus und schaute hinein. Seine Antworten wirkten alle so normal. Er war einfach der durchschnittliche, nette Junge von nebenan.
Aber leider kann der Eindruck manchmal täuschen.
◊ 7 ◊
D ie Züge der Greenbush Line pendelten zwischen South Shore und Boston hin und her. Ich nahm lieber die Fähre, obwohl das länger dauerte. Nur wenn ich es eilig hatte, nahm ich den Zug.
So wie an diesem Tag.
Ich hatte verschlafen und war drauf und dran, zu meinem ersten Termin heute zu spät zu kommen, einer Nachbesprechung mit einer Dame namens Mary Keegan. Ich musste so schnell wie möglich in die Stadt. Also rief ich Raphael an und bat ihn, mich statt an der Anlegestelle an der South Station abzuholen.
Suzannah war problemlos dazu in der Lage, im Büro allein die Stellung zu halten, das machte sie schon seit Jahren, seit sie damals auf der Suche nach Liebe in die Firma gekommen war und sie mit einem Job in der Tasche wieder verlassen hatte. Zwei Jahre später war sie in das Familiengeheimnis eingeweiht worden, nachdem sie meinen Vater mit der Frage gelöchert hatte, warum er seinen Kunden eigentlich Farben zuteilte. Inzwischen arbeitete sie schon seit fünf Jahren für ihn und gehörte praktisch zur Familie. Was ist schon einer mehr in so einem verrückten Haufen? Soweit ich das beurteilen konnte, war Suzannah von uns allen jedoch diejenige, bei der die wenigsten Schrauben locker waren.
Und sie würde mich mit Sicherheit nicht bei meinem Vater verpfeifen, wenn ich zu spät kam. Aber trotzdem …
Dad vertraute mir – und meiner großen Erfahrung als Kaffeeverkäuferin, Hundesitterin und Erzieherin – seine Firma an. Was mich zu der Vermutung brachte, dass er in mir ein Potenzial sah, welches ich selbst nicht erkennen konnte.
Ich durfte auf keinen Fall scheitern. Das Unternehmen musste unter meiner Leitung florieren, selbst wenn wir hier nur von zwei Wochen sprachen. Ich wollte meinen Vater nicht enttäuschen. Nicht schon wieder. Das hatte ich bereits zur Genüge getan, als mir die Fähigkeit abhandengekommen war, Auren zu lesen.
Ich lehnte den Kopf gegen den Sitz und wünschte, der Zug würde schneller fahren. Ich war zu durcheinander, um Kopfrechenaufgaben zu lösen, selbst einfache. Stattdessen legte ich in Gedanken eine To-do-Liste an. Zunächst einmal musste ich pünktlich zur Arbeit erscheinen (was an ein Wunder grenzen würde). Wenn meine Kundin noch nicht da war, würde ich Marisol anrufen müssen, um sicherzugehen, dass sie mir nicht noch mehr verletzte Kreaturen aufs Auge drückte.
Der Hamster, der gestern bei mir eingezogen war, hatte geschlafen, als ich aufgewacht war, zusammengerollt in seinem Häuschen in der Ecke des Käfigs. Ich hatte beschlossen, ihn Odysseus zu nennen.
Und da ich ihm schon einen Namen gegeben hatte, würde ich ihn wohl behalten. Ich hoffte nur, dass er nicht so anhänglich sein würde wie Grendel und dass der Kater nicht beleidigt sein würde, weil er meine Zuneigung mit einem Nager teilen musste.
Beim hastigen Frühstück hatte ich auch drei leere Weinflaschen entdeckt. Die Dinnerparty war anscheinend ein ziemlicher Erfolg gewesen.
Bevor ich aus dem Haus gegangen war, hatte ich noch kurz Nachrichten angeschaut, während ich meinen Kaffee runtergeschüttet, mir die Haare geföhnt und ein wenig Mascara auf die Wimpern geklatscht hatte (und auch auf meine Lider, aber daran war Grendel schuld).
Max war noch nicht gefunden worden, die Suche ging weiter, und Katherine O’Briens Gesicht verfolgte mich, selbst jetzt, als der Zug endlich Gnade zeigte und in den Bahnhof einfuhr.
Ich wusste nicht, ob ich noch einmal in den Park zurückkehren und bei der Suche helfen konnte. Mich quälte das schlechte Gewissen, weil ich meine hellseherischen Fähigkeiten nicht einsetzen konnte, um Max zu finden.
Raphael wartete mit laufendem Motor auf mich. Weiße Bartstoppeln
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