Im Auftrag der Liebe
alten Zeiten.
Seitdem waren wir drei die besten Freundinnen.
»Ob ich sie gesehen habe? Was ist denn los?«, fragte ich. Plötzlich machte ich mir Sorgen.
»Ich habe gestern Abend noch mit ihr gesprochen, aber ER macht sich Sorgen. ER hat mich gerade angerufen, weil ER nach ihr sucht. Und eins ist klar, wenn ER schon bei mir anruft, dann muss ER wirklich verzweifelt sein.«
Mit »ER« war nicht etwa der liebe Herrgott gemeint, sondern Ems Verlobter, obwohl auch der sich für ein Geschenk Gottes hielt. Eigentlich hieß er Joseph Betancourt, obgleich Marisol ihn nur selten so nannte, hauptsächlich, weil sie ihn nicht besonders mochte. Durch ihren stets abwesenden Vater hatte sie tief verwurzelte Probleme mit leistungsorientierten Karrieretypen wie Joseph, einem Banker aus der Chefetage. Ich hingegen brachte ihm mehr Sympathie entgegen, denn wenn Em ihn liebte, dann musste ja irgendwas an ihm dran sein.
»Es ist wohl so«, erklärte Marisol, »dass sie ihn heute Morgen um neun anrufen sollte und sich nicht gemeldet hat.«
»Vielleicht war sie einfach so in die Arbeit vertieft, dass sie es vergessen hat?«
»Zweifellos. Ist dem eigentlich klar, dass sie Ärztin ist? Dass sie auch viel zu tun hat? Das sollte er mal langsam kapieren.«
Em arbeitete im Rahmen des zweiten Praxisjahrs ihres Pädiatriestudiums im Children’s Hospital, sie wohnte quasi dort. Und das bisschen Freizeit, das ihr noch blieb, verbrachte sie weitestgehend damit, ihrer Mutter bei der Hochzeitsplanung auf die Finger zu sehen. Ich selbst bekam Em kaum noch zu Gesicht, sie hielt mich nur durch hastige Telefonate und kurze E-Mails auf dem Laufenden.
Wenn ich daran dachte, dass Em und Marisol Ärzte waren, kam ich mir immer wie ein richtiger Nichtsnutz vor, aber das verdrängte ich dann lieber schnell. All meine beruflichen Rückschläge Revue passieren zu lassen führte ja doch nur zu Komplexen. »Hast du sie angerufen?«
»Ihr Handy ist aus.«
»Wie wäre es damit: Wir machen uns jetzt erst mal keine Sorgen und warten bis zum Abendessen ab?«, schlug ich vor und hoffte, dass Em in der Zwischenzeit ein Lebenszeichen von sich geben würde.
»Abgemacht. Und da wir gerade beim Thema sind … gestern Abend.«
Ich zog mir die Stiefel an. Bis zu meiner Verabredung mit Raphael blieb mir noch etwa eine Stunde. In der Zwischenzeit wollte ich mit Jennifer Thompsons Eltern sprechen. Jetzt, da ich sicher war, dass Michael mit der Leiche nichts zu tun hatte, stand meiner Idee einer Wiedervereinigung der beiden schließlich nichts mehr im Wege. »Ja, das mit gestern tut mir leid.«
»Muss es aber gar nicht. Es war sehr nett. Dovie kocht wirklich gut. Sie hat mir erzählt, dass du nach dem kleinen Jungen suchen wolltest. Echt traurig.«
Im verwaisten Rezeptionsbereich knisterte das Feuer. Der Fernseher war auf stumm geschaltet, aber die Nachrichten zeigten ständig Bilder von der Suche. Es gab nichts Neues.
»Absolut.« Vor allem, weil ich mich so hilflos fühlte, da ich ihn nicht ausfindig machen konnte. Aber das durfte ich Marisol nicht erzählen. Weder sie noch Em wussten von den übersinnlichen Fähigkeiten meiner Familie. Es war nicht leicht, das vor ihnen geheim zu halten. »Erzähl mal, wie sieht Butch denn aus? Mit dem soll ich nämlich heute Abend essen gehen.«
»Er ist absolut hinreißend und sieht aus wie Matt Damon.«
»Du stehst doch auf Matt Damon«, bemerkte ich und hoffte, sie würde mir mein Date abnehmen.
»Ehrlich gesagt haben Butch und ich uns ziemlich gut verstanden, und unter anderen Umständen würde ich es wohl mal mit ihm versuchen.«
Optimistisch fragte ich: »Was denn für Umstände? Doch sicher nichts, was sich nicht aus der Welt schaffen ließe.«
»Er ist Metzger, Lucy. Ich kann mich doch nicht mit einem Metzger verabreden.«
Marisol war Vegetarierin, seit sie in der ersten Klasse begriffen hatte, woher Schnitzel stammen. Ich dachte daran, ihr dieselbe Standpauke zu halten wie Lola Fellows, aber ich kannte Marisol zu gut. Ein Metzger würde bei ihr keinen guten Schnitt machen. Ich lachte lautlos über das Wortspiel und kam zu dem Schluss, dass ich viel zu lange in diesem Büro gehockt hatte, wenn ich schon meine eigenen schlechten Witze klasse fand.
»Na ja, ich fürchte, dann steht meine Verabredung für heute Abend wohl noch.«
»Er ist wirklich nett«, bekräftigte Marisol.
»Daran zweifle ich ja auch nicht. Dovie möchte Urenkel – sie würde nicht einfach jeden x-beliebigen Typen für mich
Weitere Kostenlose Bücher