Im Auftrag der Liebe
aufgetaucht und hat den Vater des Jungen und einen Polizisten zu der Stelle geführt, wo sich der Kleine befand.« Aus dem Augenwinkel beobachtete er mich ganz genau.
Ich schluckte.
Fünfzehn mal drei gleich fünfundvierzig.
Vierundfünfzig minus sechs gleich achtundvierzig.
»Woher wusste sie denn, wo er war?«, gab ich mich neugierig.
»Das weiß niemand, Uva. Die Polizei will unbedingt mit ihr sprechen. Die Eltern wollen sich bei ihr bedanken. Der kleine Junge hat erklärt, dass er sie noch nie zuvor gesehen hat, also hat sie mit seinem Verschwinden wohl nichts zu tun.«
»Wow.«
Raphael schien ja wirklich große Lust zu haben, über Max zu sprechen.
»In dem Augenblick, als ihm klar wurde, dass er sich verirrt hatte, ist er in einen hohlen Baum gekrochen«, fuhr Raphael fort. »Er hat sich daran erinnert, dass seine Eltern ihm eingeschärft hatten, an derselben Stelle zu bleiben und zu warten, wenn sie sich mal verlieren würden.«
»Das hast du mir früher auch immer gesagt.«
Lächelnd sprach er weiter. »Er hatte die Rufe der Suchtrupps gehört, hatte aber Angst, mit Fremden zu sprechen.«
»Du hast mir stets erklärt, dass es in Ordnung ist, mit Uniformierten zu reden. Weißt du noch, wie ich mal im Kunstmuseum verloren gegangen bin und einfach nicht verstehen konnte, warum der Mann in Uniform mir nicht helfen wollte?«
»Als ich dich gefunden habe, hast du dich gerade mit einer Wachsfigur unterhalten, die den Freiheitskämpfer Paul Revere im Waffenrock darstellte. Ja, das weiß ich noch. Du warst vier. Und ein richtiger Teufelsbraten.«
»Das stimmt doch gar nicht!«
»Dein Gedächtnis ist nicht so besonders, Uva.«
Ich rollte mit den Augen und atmete erleichtert durch. Endlich hatte ich es geschafft, von Max O’Brien abzulenken. Ich griff nach dem Herald , der gefaltet zwischen den Sitzen lag. Die Schlagzeile lautete: »Kleiner Junge gefunden!« Ich las den Artikel nicht, betrachtete aber die Fotos von Max und seinen Eltern. Dann blätterte ich weiter zur Seite mit Klatsch und Tratsch und hoffte nur, dass Preston Bailey es noch nicht bis zur namentlichen Erwähnung gebracht hatte.
Es waren so einige Promis in der Stadt, außerdem hatte am Abend zuvor ein bekanntes Partygirl die Clubs unsicher und sich selbst dabei lächerlich gemacht, und dann gab es noch einen kleinen Abschnitt darüber, dass Oscar Valentine, der König der Liebe, sein angeschlagenes Herz außerhalb der Stadt kurierte. Nichts über mich – keine Fotos, keine Erwähnung der Tatsache, dass ich im Moment die Leitung der Firma übernommen hatte. Nada. Ich war mehr als erleichtert. Vielleicht hatte Preston Bailey ja doch nichts gegen mich in der Hand.
Ich konnte Raphael leider nicht lange von dem Thema ablenken, das offensichtlich seine Gedanken beschäftigte: »Man weiß nicht, wo die Frau jetzt steckt. Sie ist einfach verschwunden, nachdem der Junge gefunden war. Es scheint, als hätte sie ihre Schuhe zurückgelassen.«
Allein bei der Erwähnung taten mir bereits die Füße weh. »Ihre Schuhe?«
»Der Detective trifft sich heute mit einem Polizeizeichner, der ein Bild von ihr anfertigen soll.« Raphael hielt an einer roten Ampel und warf einen wissenden Blick in meine Richtung. »Vielleicht wird sie ja jemand wiedererkennen.«
Mir drehte sich der Magen um. »Das … das wäre natürlich toll.«
»Möchtest du mir irgendetwas sagen, Uva?«
Offensichtlich wusste er, dass ich die Frau gewesen war, die den kleinen Jungen gefunden hatte. Zeit für ein Geständnis. »Du hast wirklich Superkräfte, ist dir das eigentlich klar? Woher wusstest du, dass ich es war?«
»Ich hatte es schon vermutet, war mir aber nicht ganz sicher, bis du eben angehumpelt kamst. Warum hast du denn nichts gesagt?«
»Ich weiß auch nicht, Pasa. Ich glaube, ich fand es einfach schön zu wissen, dass ich das ganz alleine durchgezogen habe. Ich war noch nicht bereit, es mit jemandem zu teilen.«
Er nickte. »Das kann ich verstehen. Aber jetzt will ich alles hören.«
Ich lachte. Und dann erzählte ich ihm wirklich alles – zumindest darüber, wie ich Max gefunden hatte. Über das Skelett verlor ich kein Wort. Eine Enthüllung reichte für heute.
Raphael hielt vor dem Büro. Er beugte sich zu mir und küsste mich auf die Stirn. »Ich bin stolz auf dich. Das hast du gut gemacht, Uva.«
Ich lächelte. »Ich weiß.«
Ich bat ihn, mich um elf wieder abzuholen. Damit sollte ich genug Zeit haben, um einige Akten zu ordnen, bevor ich wieder nach Hause
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