Im Auftrag der Liebe
schweigendem Zuhören gab Em mir das Telefon zurück, rutschte vom Hocker und stapfte schwankend wieder ins Schlafzimmer. Ich sah ihr hinterher.
»Ist alles in Ordnung mit ihr?«, wollte Marisol wissen.
»Es sieht so aus, aber irgendwas hat sie offensichtlich.«
Ich zog kurz in Erwägung, Kaffee aufzusetzen und sie auszunüchtern, beschloss dann aber, sie in Ruhe zu lassen. Es reichte, wenn ich am nächsten Tag eine Erklärung von ihr verlangte.
»Soll ich vorbeikommen?«
»Nee. Das bringt ja nichts. Ich denke, sie muss sich jetzt richtig ausschlafen.«
»Gut, dann ruf mich morgen an, in Ordnung?«
»In Ordnung«, sagte ich und legte auf.
Ich suchte nach einem weiteren Twinkie und spülte ihn mit einem Glas Milch herunter.
Mein gesundheitsbewusster Vater hätte einen Anfall bekommen, wenn er gewusst hätte, dass ich mich so ernährte.
Es war schon spät, nach zehn Uhr, aber ich rief noch kurz auf Seans Handy an. Ich war überrascht, als er ranging – eigentlich wollte ich ihm eine Nachricht hinterlassen.
»Hier ist Lucy«, sagte ich lahm.
»Es ist schon ziemlich spät«, gab er zurück.
Ich hopste auf den Küchentresen, bemüht, nicht an meine Füße zu denken. Sie taten weh, und beim Anblick des Blutes drehte sich mir der Magen um. »Ich hoffe, ich störe nicht.«
»Ich bin gerade bei einer Observierung.«
»Du liegst auf der Lauer? Ist das so spannend, wie es klingt?«
»Wohl kaum. Was ist denn los?«
»Ich weiß auch nicht. Ich wollte nur sichergehen, dass mit dir alles in Ordnung ist«, sagte ich und überlegte, ob ich wohl Bittersalz dahatte, um meine Füße in einer Lösung zu baden.
Oder vielleicht wäre ein Fußbad mit Wasserstoffperoxid besser. Wenn ich die Wunden nicht gründlich säuberte, würde ich mir bestimmt eine Infektion holen.
»Mir geht’s gut. Hast du die Nachrichten gesehen?«
»Nein.« Schließlich war ich ziemlich beschäftigt gewesen.
»Im Auftrag des Bezirksstaatsanwalts untersucht das Büro der State Police in Norfolk das Skelett, das im Park gefunden wurde, zusammen mit der Polizei von Weymouth. Der Reporter hat erzählt, dass ein Zeuge am Tatort ein Pärchen mit einem kleinen Hund gesehen hat. Es gab eine ungefähre Beschreibung von uns, aber sonst nicht viel.«
Ich atmete tief durch. »Gut.«
»Du klingst müde.«
»Ich hatte einen langen Tag.«
»War das Date ein Reinfall?«
»Es hat überhaupt nicht stattgefunden«, erklärte ich.
»Gut.«
»Sean …«
»Ich weiß, ich weiß«, sagte er.
Ich sollte besser Schluss machen, bevor noch der Gedanke an Telefonsex aufkam. Ich wünschte ihm noch einen schönen Abend und legte auf.
Vorsichtig humpelte ich ins Schlafzimmer und knipste im angrenzenden Bad das Licht an. So hatte ich es hell genug, um mich zurechtzufinden, störte Em aber weniger.
Sie murrte und zog sich das Kissen übers Gesicht. Ich machte eine Bestandsaufnahme. Ihre Kleidung lag zu einem ordentlichen Stapel gefaltet neben meinem Bett. Sie selbst hatte sich in einer Ecke des Bettes zusammengerollt. Das sah richtig gemütlich aus. Ich störte sie ja nur ungern, aber es gab da etwas, was ich wissen musste.
Ich setzte mich auf die Bettkante. »Em?«
»Was?«, seufzte sie.
»Wo steckt der Hamster?«
Sie nahm das Kissen vom Gesicht. »Die Ratte ist im Schrank. Das blöde Rad war so laut.«
Ich lächelte. Wie eloquent sie war, wenn sie getrunken hatte.
Sie versteckte sich wieder hinter dem Kissen und rollte sich noch enger zusammen. »Gute Nacht«, murmelte sie.
Zumindest für eine von uns würde sie das werden.
Ich rettete Odysseus aus dem Schrank, brachte ihn in die Küche und fütterte ihn mit ein paar Fruit Loops. Grendel bot ich auch welche an, er war aber nicht daran interessiert, bis ich sie auf den Boden fallen ließ, sodass er seine »Beute« in Sicherheit bringen konnte.
Ich warf einen Blick in Richtung Fernseher und überlegte, ob ich die Nachrichten einschalten sollte, beschloss jedoch, dass es für heute genug war.
Dann kümmerte ich mich endlich um meine Füße und säuberte die Schnitte und Kratzer, so gut es ging. Auf eine ganz besonders schlimme Wunde am linken Fuß kam ein Klammerpflaster. Das musste wohl eigentlich genäht werden, doch vermutlich hatte Detective Lieutenant Holliday alle Krankenhäuser darüber informiert, dass nach einer Frau mit Fußverletzungen gesucht wurde.
Pure Ironie, immerhin lag da eine Ärztin in meinem Bett – ich war aber nicht bereit, sie deshalb aufzuwecken. Selbst wenn sie nüchtern wäre,
Weitere Kostenlose Bücher