Im Auftrag der Liebe
Hälfte herzumachen.
»Ich habe doch gesagt, dass ich keinen Appetit habe«, protestierte sie mit vollem Mund.
»Ich weiß.«
»Wie lange sind wir jetzt schon befreundet?«, fragte sie.
»Seit fünfundzwanzig Jahren.«
»Und wir erzählen uns doch alles, oder?«
Darauf wollte ich lieber nicht antworten. »Ist das so?«
Sie runzelte die Stirn und bohrte Löcher in das Omelett. »Sieht wohl nicht so aus.«
»Aber ich denke, das ist in Ordnung.« Ich holte Orangensaft aus dem Kühlschrank.
»Tatsächlich? Sollten Freundinnen sich einander denn nicht völlig anvertrauen?«
»Ich glaube, jeder hat so seine Geheimnisse.«
»Hast du welche?«, fragte sie und sah mich aus ihren blauen Augen hoffnungsvoll an.
»Natürlich. Und du?«
»Schon. Aber ich wünschte, es wäre nicht so.«
Sie nahm noch einen Bissen. »Wusstest du, dass ich eigentlich nie Ärztin werden wollte?«
»Wie bitte? Nein. Wolltest du nicht?«
»Ich wollte Kindergärtnerin werden. Aber meine Eltern fanden, dass es für eine Baumbach unter ihrer Würde sei, mit Fünfjährigen zu spielen. ›Für eine Baumbach immer nur das Beste‹«, äffte sie die Stimme ihrer Mutter nach. »Ich will immer noch Kindergärtnerin werden. Ich hab dich stets um deine Freiheit beneidet, Lucy. Darum, dass du tun kannst, was du willst, wann immer du willst.«
Ich lachte. »Und ich hab dich immer darum beneidet, dass du so genau wusstest, was du im Leben wolltest. Dass du Ziele hattest. Neben dir und Marisol kam ich mir wie eine totale Versagerin vor.«
Sie riss den Mund auf. »Im Ernst?«
»Das kannst du mir glauben. Und du willst also als Erzieherin arbeiten.«
»Ja. Aber meine Eltern …«
»Was sagt Joseph denn dazu?«
»Dass er mich immer unterstützen wird, egal, wofür ich mich entscheide.«
Damit sammelte ihr Verlobter bei mir wirklich Pluspunkte. »Es ist noch nicht zu spät, Em. Wenn du Kindergärtnerin werden willst, dann kannst du das auch.«
Sie fuhr mit dem Finger über die Granitplatte der Küchentheke und folgte dabei den Goldpartikeln im Muster. »So einfach ist das nicht. Aber ich schwöre dir, wenn ich nur noch ein einziges Kind sterben sehe …« Ihre Stimme erstickte.
Ich umrundete die Theke und nahm sie in den Arm. »Hör zu«, flüsterte ich. »Du kannst tun, was auch immer du willst, Em. Du wärst eine tolle Erzieherin. Und deine Eltern würden irgendwann darüber hinwegkommen.«
Sie lehnte den Kopf an meine Schulter. »Ich brauche einfach ein bisschen Zeit, um mir über all das klar zu werden. Bist du sicher, dass ich hierbleiben kann? Ich habe ein paar Tage Urlaub von meinem normalen Leben nötig.«
»Bleib, so lange du willst.«
»Danke.«
Das Telefon klingelte, als ich ihr die Tränen von der Wange wischte.
»Wenn das meine Mutter ist, sag ihr, dass ich nicht da bin«, schniefte Em. »Ich gehe mich mal frischmachen.«
Ich griff nach dem Hörer und sah ihr nach. »Hallo?«
»Ms Valentine? Hier ist Preston Bailey. Ich habe noch ein paar Fragen, bevor mein morgiger Artikel in den Druck geht.«
Na toll. Ich seufzte tief. »Ich habe Ihnen nichts zu sagen, Ms Bailey.«
»Ich fürchte, dass Sie diese Entscheidung bereuen werden.«
Als ich auflegte, hoffte ich, dass sie damit Unrecht hatte.
◊ 15 ◊
D éjà-vu.
Ich saß wieder einmal vor dem Hingham Bay Club im Auto und hatte dringend etwas Hochprozentiges nötig.
Zu behaupten, dass ich mit den Nerven am Ende war, wäre noch untertrieben gewesen.
Nicht, weil ich, wie gestern Abend, gleich Butch gegenübertreten musste, sondern vielmehr wegen der heutigen Fünfuhrnachrichten.
Die Berichterstattung hatte sich weitestgehend um Max und die geheimnisvolle Frau gedreht, die ihn gefunden hatte. Sie hatten eine Aufnahme eingespielt, in der Detective Lieutenant Holliday eine Phantomzeichnung von mir hochhielt.
Dieser Tatsache musste ich jetzt ins Auge sehen: Ich stand auf der Fahndungsliste der Polizei.
Wie lange? Wie lange würde es dauern, bis jemand eins und eins zusammenzählte? Bis jemand mich auf dem Bild erkannte?
Würde ich mich durch ein Polizeiverhör schwindeln können? Was mit meinen Füßen passiert war, konnte ich jedenfalls nicht erklären, falls mich jemand danach fragte. Brauchte man für so etwas eine richterliche Anordnung?
Plötzlich hielt ich es für eine äußerst gute Idee, doch meinen Eltern auf St. Lucia ein wenig Gesellschaft zu leisten.
Ironischerweise verlas der Nachrichtensprecher auch kurz ein paar Zeilen zu der Toten im Great Esker Park, von
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