Im Auftrag der Liebe
›stimmt‹? Hast du mich etwa überprüft?«
»Natürlich.«
»Das ist nicht fair. Jetzt weißt du alles über mich, und ich …«
»Wohl kaum«, grummelte er.
»Ich weiß fast gar nichts über dich«, fuhr ich fort und ignorierte seinen Kommentar.
»Das finde ich nur fair.«
Ich rollte mit den Augen.
Tess kam zurück, und wir entschieden uns beide für eine Waffel. Nachdem sie die Bestellung in der Küche aufgegeben hatte, brachte sie uns zwei Gläser Wasser mit Eiswürfeln. Ich sah zu ihr hoch. »Wie lange arbeiten Sie schon hier, Tess?«
»Viel zu lange, Schätzchen.«
Sean schob seine Visitenkarte über den Tisch. »Wir untersuchen den Tod von Rachel Yurio. Kannten Sie sie?«
Tess machte ein Kreuzzeichen.
Das interpretierte ich mal als ein Ja.
Den Falten nach schätzte ich Tess auf fünfundsiebzig. Es war schwer, sich vorzustellen, dass sie genauso alt war wie Dovie. Äußerlich konnten sie verschiedener nicht sein. Das war eben der Unterschied zwischen den Menschen, die Geld hatten, und denen, die keins hatten.
Tess’ Uniform schmiegte sich an ihre zu üppigen Kurven, gefärbte rote Locken fielen ihr ins Gesicht. Sie stand krumm da, so als täte ihr der Rücken weh. Ihre dicken orthopädischen Schuhe machten kein Geräusch, während sie das Gewicht von einem Bein aufs andere verlagerte. Ihre Brille trug sie an einer Kette um den Hals, und sie himmelte Sean unverhohlen an.
»Süßer«, sagte sie zu ihm, »manche Menschen vergisst man einfach nicht.«
Ich musste lächeln, als er rot wurde. Es war so niedlich.
»Ich war wirklich traurig, als ich in den Nachrichten davon gehört habe. Was wollen Sie denn wissen?«, fragte Tess.
»Alles«, entgegnete ich. »Wie lange hat sie hier gearbeitet? Hatte sie Freunde? Hat sie je über irgendwen gesprochen? Gab es jemanden, der sie nicht mochte?«
»Sie war eine ganz Stille. Hat hier etwa zwei Jahre gearbeitet. Sie hat ungefähr zur gleichen Zeit angefangen wie Elena. Das ist diejenige, mit der ihr reden solltet.«
»Elena Hart?«, fragte Sean und zog ein kleines Notizbuch aus der Tasche.
»Genau die, Süßer. Rachel und sie waren die besten Freundinnen und haben auch zusammen gewohnt. Die haben zusammengehalten wie Pech und Schwefel, und das schon seit der Schulzeit, das haben sie zumindest erzählt. Na ja, so ging das, bis …«
»Bis wann?«, hakte ich nach.
»Sie haben sich zerstritten. Das war ein Riesentheater.« Ihre Augen nahmen einen abwesenden Ausdruck an. »Ich erinnere mich noch genau an den Tag. Rachel und ich hatten Spätschicht. Elena kam hier reingestürmt, sie kochte vor Wut und war auf der Suche nach ihrer Freundin. Die Sache geriet dermaßen außer Kontrolle, dass der Manager schließlich die Polizei rief.«
»Worum ging es denn bei dem Streit?«
»Ich bin mir nicht sicher. Ich weiß nur noch, dass Elena immer wieder gefaucht hat: ›Wie konntest du nur? Wie konntest du nur?‹ Die zwei haben vor Wut geheult und sind aufeinander losgegangen. Der Manager hat beide auf der Stelle rausgeschmissen.«
Das musste der Streit sein, von dem Michael mir erzählt hatte. Als Elena klar geworden war, dass Rachel sie hintergangen hatte, indem sie Michael die Wahrheit über die Nacht erzählt hatte, an die er sich nicht mehr erinnerte.
»Nachdem sie den Laden an diesem Abend verlassen haben, habe ich keine von beiden je wiedergesehen.« Tess sah über die Schulter und erklärte: »Eure Bestellungen sind fertig, ich bin sofort wieder da.«
Als sie zurückkam, lehnte Sean sich zu ihr vor. »Tess, glauben Sie, dass Elena etwas mit Rachels Tod zu tun haben könnte? Was sagt Ihnen Ihr Gefühl?«
Sie wiegte den Körper nach hinten. »Ich hatte es im Leben selbst nicht leicht, hab viel durchgemacht und so einiges gesehen. Aber ich habe noch nie jemanden getroffen, der so böse war wie Elena Hart. Rachel, die war zwar auch hart im Nehmen, aber sie hatte ein Herz aus Gold. Ich hab nie verstanden, warum die beiden befreundet waren.«
Als Tess sich entfernte, starrte ich auf meinen Teller. Auf einmal hatte ich überhaupt keinen Appetit mehr. Schade um die schöne Waffel.
Die Männer am Tisch ganz hinten legten Geld auf den Tisch und schlenderten gemächlich nach draußen.
Sean goss sich Sirup auf die Waffel. »Wie wäre es, wenn wir morgen Rachels Großmutter besuchen und dann mal sehen, ob Elena wohl mit uns sprechen würde?«
»Das klingt gut«, nickte ich. »Außerdem wollte ich gerne bei Melissa vorbeischauen, Jennifers Schwester. Wenn wir da
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