Im Auftrag der Liebe
schlich Em in mein Zimmer. Ich zog die Decke runter und schlug ein Auge auf.
Sie umklammerte ein Bündel Klamotten und fragte: »Hab ich dich geweckt?«
»Nein? Was machst du?«
»Ich springe mal eben unter die Dusche. Heute muss ich arbeiten, aber ich werde auch meine Kündigung einreichen. Falls sie mich für meine kleine Auszeit nicht schon längst gefeuert haben.«
Auf einmal begriff ich, was Em die ganze Zeit im Sinn gehabt hatte: »Du wolltest erreichen, dass sie dich feuern.«
»Na ja, schon. Ich hatte gehofft, dass es für meine Eltern auf die Art und Weise einfacher wäre. Aber mir hätte klar sein müssen, dass ihre Spenden mir den Arbeitsplatz weitestgehend gesichert haben. Ich muss das richtig machen, selbst wenn es nicht der einfachste Weg ist. Nächstes Semester schreibe ich mich im Boston College ein und werde Erzieherin.«
Sie hatte den gestrigen Tag gut genutzt. Ich lächelte. »Ich bin stolz auf dich.«
»Ich bin auch stolz auf mich.« Sie deutete in Richtung Badezimmer. »Wenn ich hier fertig bin, rufe ich mir ein Taxi.«
»Vergiss das Taxi. Nimm meinen Wagen.«
»Brauchst du den denn nicht?«
»Heute nicht.« Sean hatte angeboten, heute zu fahren. Er würde mich um neun abholen.
»Dann nehme ich dein Angebot an«, sagte sie.
»Wie lange arbeitest du denn?«
»Von sieben bis sieben.« Sie huschte ins Bad. »Aber ich will immer noch alles hören, was bei dir so los ist. Essen wir heute Abend zusammen?«
»Klar.«
Die Rohre bollerten in der Wand, als sie das heiße Wasser anstellte. Grendel berührte mein Gesicht spielerisch mit der Tatze. Ich kraulte ihn am Kinn, als jemand laut an meine Haustür pochte.
Die Leuchtziffern meines Weckers zeigten 05:48 Uhr an.
Wer, um alles in der Welt, war das?
Ich schob Grendel beiseite, der sich unter die warme Decke flüchtete, und rief: »Ich komme!«, gefolgt von »Au, au, au«, während ich in Richtung Tür humpelte. Mit meinen Füßen war es über Nacht schlimmer geworden. Ich sah zu ihnen hinunter – zerkratzt und geschwollen. Em würde sich das mal anschauen müssen.
Wieder klopfte es. »Bin schon unterwegs!«
Ich schaltete das Türlicht ein und öffnete.
Detective Lieutenant Holliday sah lächelnd auf mich herab und schlug sich mit einer zusammengerollten Zeitung in die Hand. »Guten Morgen, Lucy.«
Ich stöhnte: »Wie jetzt, keine Witze über Dornröschen und ihren Schönheitsschlaf?«
»Ich will mit meinen Märchensprüchen nicht allzu vorhersehbar werden. Darf ich eintreten?«
Ich hatte ja gewusst, dass es irgendwann so kommen würde. Allerdings hatte ich nicht so früh damit gerechnet. Ich machte die Tür weiter auf und deutete auf die Couch. »Geben Sie mir eine Minute, damit ich mir was überziehen kann?«
»Sie hauen aber nicht wieder ab, oder?«
»Mit diesen Füßen?«, fragte ich und zeigte nach unten.
Er stieß einen leisen Pfiff aus. »Das sollten Sie lieber mal einem Arzt zeigen.«
»Das habe ich auch vor. Ich bin sofort wieder da.«
Als ich zurück ins Wohnzimmer kam, saß er auf dem Stuhl neben dem Sofa. »Ist noch jemand hier?«, fragte er.
Em hatte ihre Decke bereits gefaltet und die Couch in Ordnung gebracht. »Eine Freundin hat sich für ein paar Tage bei mir einquartiert. Jetzt steht sie gerade unter der Dusche – sie muss heute arbeiten«, erklärte ich ebenso matt wie weitschweifig.
Er trug locker sitzende Jeans, Laufschuhe und einen sportlichen Pullover. Nicht eben der typische Polizistenlook.
»Kaffee?«, fragte ich.
»Gerne.«
In der Küche mahlte ich Kaffeebohnen, deren Duft sofort die Luft erfüllte. Ich konnte spüren, wie er mir dabei zusah. Zum ersten Mal wünschte ich mir, meine Kochnische wäre nicht zum Wohnzimmer hin offen. Er machte mich nervös. »Milch? Zucker?«
»Schwarz.«
Ein paar Minuten später brachte ich ihm seinen Becher und setzte mich auf die Couch.
Er nahm einen Schluck. »Der ist gut. Danke.«
»Bitte, bitte.« Sein blondes Haar war strubbelig – offensichtlich war auch er eben erst aufgestanden – und unter seinen blauen Augen zeichneten sich dunkle Ringe ab. »Sind Sie beruflich hier?«
»Genau genommen, nein.«
»Wie komme ich dann zu der Ehre?«
Die Badezimmertür öffnete sich knarrend, und eine tropfnasse Em trat heraus, nur in ein Handtuch eingewickelt. »Rieche ich da Kaffee?« Sie erstarrte, als sie Holliday erblickte.
»Em, das ist Detective Lieutenant Aiden Holliday.« In seine Richtung erklärte ich: »Und das ist Emerson Baumbach.«
»Hm, hi«,
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