Im Auftrag der Rache
Mannes und wollte herausfinden, in welchem Zustand er sich augenblicklich befand. Glaub war seit ihrer letzten Zusammenkunft vor etwa eineinhalb Jahren sichtlich gealtert. Das Grau an seinen Schläfen war zu silbernen Streifen geworden, und die Runzeln um die Augen hatten sich tiefer eingegraben. Von den Berichten, die Coya erhalten hatte, wusste er, dass all das aus Kummer geschehen war.
»Wie geht es Euch?«, fragte er den Protektor. »Ich hoffe, Ihr hattet eine angenehme Reise?«
»Ziemlich angenehm. Ich bedauere bloß, dass unser Treffen so kurz sein muss.«
»Ja«, sagte Coya. »Der khosische Rat ist sicherlich jedes Mal beunruhigt, wenn Ihr so lange vom Schild entfernt seid.« Darüber lächelten sie beide, denn sie wussten, dass es stimmte. Als sich ihre Blicke begegneten, stand die unausgesprochene Frage zwischen ihnen, warum Glaub überhaupt hier war. »Aber es ist gut, dass wir uns wenigstens für diese kurze Zeit treffen können. In der Kapitänskajüte steht eine Mahlzeit für uns bereit. Wenn Ihr wollt, können wir es uns dort bequem machen; dann sind wir wenigstens den Wind für eine Weile los.«
Glaub schenkte ihm einen Blick, der davon kündete, dass er es nicht gewöhnt war, sich Gedanken um seine persönlichen Bedürfnisse zu machen. Er schaute hinüber zu Marsch und die vielen Matrosen, die sie noch immer eingehend beobachteten und zu denen auch der Kapitän des Schiffes gehörte. »Ich bin zu alt, um mich aus Angst vor Attentätern zu verstecken, falls das Eure Sorge ist«, sagte er. »Ich möchte lieber die frische Luft genießen, während wir uns unterhalten. Danach können wir gern etwas essen.« Er hielt inne und sah Coya an, der, gebeugt und in seinen warmen Mantel gehüllt, vor ihm stand. »Es sei denn, es ist für Euch besser, wenn Ihr Euch in der Kajüte aufhaltet.«
»Wenn es Euch hier draußen gutgeht, dann ist es bei mir nicht anders, vielen Dank«, erwiderte Coya knapp und neigte höflich den Kopf. Diese Bewegung tat ihm weh, wie es bei allen Bewegungen der Fall war. Trotz seiner Jugend hatte Coya die arthritischen Knochen eines uralten Mannes. »Aber erlaubt mir bitte, Euch einen Chee anzubieten, während wir uns unterhalten.«
Dieses Angebot hieß Glaub willkommen. Wenige Minuten später stand der Kombüsenjunge des Schiffes mit zwei dampfenden Lederbechern in den Händen vor Marsch. Der Mund des Jungen stand vor Staunen offen, als er von der beeindruckenden Gestalt des Protektors zu Marsch sah, der ein Goyum in den Chee hielt, um eine Probe zu nehmen. Ein einzelner Fortsatz baumelte in der heißen Flüssigkeit, und der faustgroße Beutel behielt seine gewöhnliche graubraune Farbe bei. Zufrieden erlaubte Marsch, dass die Becher in die freudig ausgestreckten Hände weitergegeben wurden.
»Wie geht es Eurer hübschen Frau?«, fragte Glaub durch eine Woge des aufsteigenden Dampfes hindurch.
»Gut. Sie sendet Euch ihren Segen.«
Wie großmütig , dachte Coya, nach meiner Frau zu fragen, wo er noch um seine eigene trauert .
»Ihr habt mir nie gesagt, wie Ihr sie bekommen habt. Erpressung, nehme ich an?«
»Das war gar nicht nötig. Sie ist verrückt nach mir. Und ich nach ihr.«
»Also ist es Liebe. Möge die Gnade Euch beiden helfen.«
Coya bedachte Glaubs trockenen Humor mit einem belustigten Blinzeln.
»Ihr müsst uns einmal besuchen, wenn die Umstände es erlauben. Es würde Euch bei uns gefallen. Rechelle sorgt dafür, dass das Haus immer voller Leben und Kinder anderer Leute ist.«
Einen Moment lang glaubte Coya, er habe zu viel gesagt. Doch dann erwiderte Glaub warmherzig: »Ja, das würde mir gefallen.«
Sie tranken ihren Chee, während sie an der Reling standen und hinunter auf Land und Meer schauten. Die Küstenlinie von Minos glitt langsam zur Seite, als sich das Schiff im Wind drehte.
Die Stadt Al-Minos leuchtete im nachmittäglichen Sonnenschein; es war der größte Freie Hafen der ganzen mercischen Inseln. Um sie wanden sich die Arme der Bucht; die weißen Strände wurden verdunkelt von Menschenmengen und Wolken roter Flugdrachen. In dieser Woche wurde ein Hafenfest gefeiert, und sogar die Anwesenheit der Ersten Flotte, die dort vor Anker lag und für die Schlacht bereitgemacht wurde, konnte die Festtagsstimmung nicht dämpfen. Coyas Frau war irgendwo dort unten in den brodelnden Straßen, zusammen mit seinen Eltern und den vielen lebhaften Kindern seiner Schwester – oder sie beobachteten inzwischen das Pferderennen am Strand von Uttico und verwetteten
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