Im Auftrag der Rache
stieß sie zusammen mit aller Verwirrung und Bedrückung, die in ihm gefangen gewesen waren, wieder aus. Aus der Stille heraus stand er auf, sprang hoch wie ein Mann, der in Flammen stand, und rannte durch die Dunkelheit über das harte Pflaster hinaus auf den Kai, hinaus auf die hölzernen Planken eines Landungssteges, rannte bis zum Ende, holte tief Luft, sprang und tauchte kopfüber ins Wasser.
Kapitel acht
Die Bresche
Die Prozession der Wolkenmänner schritt über die Pflastersteine, während die schwarzen Roben im Winde flatterten und sie laut die feierlichen Gesänge des Todesritus anstimmten. Gelegentlich klapperte eine Münze in ihre Bettelschalen; Weihrauch umspielte grau und durchdringend ihre kahlgeschorenen Köpfe. In den Händen des ältesten Mönches, der am Ende der Prozession ging, rasselte eine hölzerne Klapper wie die zitternden Kiefer eines Mundes und schlug einen langsamen und stetigen Rhythmus, der den Sinnen jedes Mal einen heftigen Stich versetzte.
Bahm spendete nichts, als die Mönche an ihm vorbeizogen. Er tat es nicht absichtlich, sondern war einfach zu träge für diesen einfachen Akt. Er stand da, als ob er zehn Fuß tief in seinem eigenen Inneren vergraben wäre, und schaute durch ein Gewirr aus gewisperten Gedanken in einer Müdigkeit vor sich hin, die ihm inzwischen sehr vertraut war.
Er wollte nichts anderes als heute Nachmittag seinen Pflichten entfliehen, eine Rikscha nach Hause in den Norden der Stadt nehmen, sich ins Bett legen, die Laken über den Kopf ziehen und die Welt bis morgen früh von sich fernhalten.
Diese Lethargie plagte ihn nun bereits seit einer ganzen Woche. Bahm hatte schon immer um den nächtlichen Schlaf kämpfen müssen, denn in seinem Kopf schwirrte es von Sorgen und Gedanken. Aber jetzt fühlte er sich andauernd leblos und ausgelaugt, egal ob er sich nur drei Stunden im Bett herumgewälzt oder zehn Stunden vollkommener Bewusstlosigkeit genossen hatte.
In benommenem Schweigen sah er zu, wie die Mönche an den Reihen der Respekt bezeugenden Zuschauer vorbeiraschelten, gefolgt von den blassen Trauernden mit der kleinen Urne, die ein junger Mann im Arm trug, während sich seine noch jüngere Frau neben ihm kaum ohne fremde Hilfe auf den Beinen halten konnte.
Bahm musste weitergehen und seine Sinne wieder beleben. Er wollte nicht an der Prozession vorbeieilen und ihr damit seine mangelnde Achtung zeigen, und so folgte er den Trauernden eine Weile und versuchte, nicht zu gähnen, während er den Kummer von hinten betrachtete.
*
Er begab sich nach Süden in das Barbierviertel, in dem Bahm und seine zwei Brüder geboren worden und aufgewachsen waren. Von dort aus war der Berg der Wahrheit zu sehen, dessen Hänge sich sanft über die Dächer im Westen erhoben und der eine Krone aus grüner Parklandschaft um die abgeflachte Spitze trug, auf der ein weißes Gebäude stand. Es war das Kriegsministerium, in dem Bahm fast jeden Tag seinem Vorgesetzten General Glaub berichten musste.
Aber nicht heute. Da die Kämpfe abgeflaut waren, hatte der General die Gelegenheit ergriffen und war in diplomatischer Mission nach Minos geflogen. Zumindest hatte er das mitgeteilt, als Bahm seiner Neugier Ausdruck verliehen hatte. Bahm hoffte, dass er bald zurückkam. Es war für ihn zur täglichen Last geworden, die endlosen Sendschreiben vom Michinè-Rat abzufangen, in denen angefragt wurde, wann der Protektor wieder in der Stadt sein würde und warum er nicht um Erlaubnis gebeten habe, bevor er Bar-Khos und den Schild für so lange Zeit verlassen hatte.
Bahm reagierte inzwischen mit Standardantworten, die er einfach von einem sorgfältig ausgearbeiteten Blatt kopierte, das in seinem Schreibtisch lag.
Er ging an einer langen Reihe von Flüchtlingen und Einheimischen vorbei, die vor einer der vom Rat geförderten Bäckereien auf ihre Brotrationen warteten. Er fragte sich, ob er sich etwas zu essen kaufen sollte, damit er vielleicht wieder ein wenig Energie bekam. In letzter Zeit hatte er wenig zu sich genommen und seinen Anteil an den mageren Rationen an Marlee und die Kinder weitergegeben. Als er aber über den Hökerplatz ging, waren die Essstände des kleinen Marktes beinahe leer, und das wenige, das angeboten wurde, war so teuer, dass er es sich mit seinen armseligen Münzen nicht leisten konnte. Da war es besser, sich in einem der Kantinenzelte etwas Brot und Bohnen zu besorgen.
Er blieb stehen, als er auf die Hochkönigsstraße hinaustrat, die längste Straße in
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