Im Auftrag der Rache
zusammengestürzten Teil des großen Walls anfüllte, zog Bahm nun unwiderstehlich an. Noch bevor er nahe herangekommen war, sah er deutlich, dass es eine behelfsmäßige Arbeit war. Männer und Zele mühten sich inzwischen ab, vor die lockere Füllung behauene Steinblöcke zu setzen. Aber es hieß, dass der Wall an dieser Stelle dauerhaft geschwächt sein würde.
Bahm erkannte, dass es eine Weile her war, seit er zum letzten Mal auf Kharnosts Mauer gestiegen war und auf die andere Seite geschaut hatte. Die Kanonen waren nicht oft verstummt und die Lüfte frei von fliegenden Geschossen. Bahm beschloss, einen Blick zu wagen.
Er spürte den Schweiß auf der Stirn, als er die hohen Stufen bis zur Spitze erklettert hatte. Das war der Rüstung zuzuschreiben. Er hatte es nie gelernt, ihr Gewicht richtig zu tragen. Auf dem Wehrgang legte er die Hand gegen eine Zinne, schob den Helm zurück und wischte sich über die Stirn. Zwei Rotgardisten warfen ihm einen kurzen Blick zu und kehrten dann zu ihrem Hastelspiel zurück. Ihr Leutnant schenkte ihm keine Beachtung; der Mann war damit beschäftigt, die Landenge hinter der Mauer zu beobachten.
Bahm spähte über die Brüstung. Er sah dunkle, schnurgerade Wallanlagen und Belagerungskanonen, die noch unter ihren nächtlichen Abdeckungen aus Stroh und eingeölter Leinwand steckten. Hier und da bewegten sich weiße Umrisse, und manchmal stieg eine kleine Rauchwolke aus der Waffe eines Scharfschützen auf.
Hinter diesen Linien breitete sich das gewaltige Lager der Vierten Reichsarmee aus wie eine rauchgeschwängerte, schläfrige Stadt.
Wir sollten sie fragen, ob sie Lust haben, mit uns Kreuz zu spielen , dachte er. So könnten wir diesen ganzen Krieg hier und jetzt beenden und mit dem Leben davonkommen .
Unter ihm, auf der khosischen Seite, war das Kreuzspiel gerade zu Ende gegangen. Er sah, wie Halahan auf die Mauer zuhumpelte, als ob er vorhätte, ihre Treppe zu ersteigen. Bahm hatte keine Lust, mit diesem Mann oder sonst jemandem zu reden.
Er ging weiter und hielt sich geduckt, während er sich auf dem Wehrgang der Bresche näherte. Zwischen den Zinnen fühlte er sich schutzlos und war dem Wind ausgeliefert, und hier und da waren Teile der Brüstung ganz in sich zusammengefallen. Aber niemand sonst ging gebückt oder zeigte Anzeichen von Sorge über mögliche Schüsse. Also zwang sich Bahm dazu, aufrecht zu gehen, wie es sich für einen Offizier gehörte.
Er blieb dort stehen, wo die Zinnen und die Brüstung vollkommen verschwunden und die unterhöhlte Mauer zusammengebrochen waren. Bahm starrte hinunter in die aufgefüllte Bresche.
Der Spalt voller Erde und Schutt war etwa einen halben Steinwurf breit. Er war festgestampft und mit darübergelegten Planken versehen worden, und eine grobe Brüstung aus Steinblöcken war an der Außenseite aufgeschichtet worden. Im Augenblick befand sich hier niemand. Von der mhannischen Seite des Schildes aus war diese Bresche nicht mehr sichtbar, denn sie war wie der Rest mit Erdwerk bedeckt, das als einziges den andauernden Kanonenbeschuss auszuhalten vermochte.
Aber von dort, wo Bahm stand, war der Schaden deutlich zu erkennen, und er konnte den Blick einfach nicht davon abwenden. Er starrte den zusammengefallenen Teil der Mauer an, als ob er in sein eigenes Innerstes sähe und dort eine Art von Affinität zu dieser geschwächten Steinmasse erkennen würde.
Er dachte an den Bericht, der vor einer Woche vom minoischen Geheimdienst gekommen war und der die Möglichkeit einer bevorstehenden Invasion von Khos andeutete. Bahm war verpflichtet gewesen, diese Neuigkeit für sich zu behalten; außerdem handelte es sich nur um eine Mutmaßung über die Pläne des Feindes. Sogar Marlee hatte er im Dunkeln darüber gelassen, denn er wollte ihr keine unnötigen Sorgen bereiten. Sie hatte sowieso gespürt, dass etwas mit ihm nicht stimmte, denn seine Mutlosigkeit war ihr nicht entgangen. Und dann hatten plötzlich die Kanonen auf der mhannischen Seite geschwiegen, angeblich als Zeichen der Reichstrauer. Für Bahm hatte es eher so gewirkt, als würden sie Luft für den kommenden Angriff holen.
Bahm setzte seinen Helm ab und legte ihn unter einem metallischen Kratzen auf einen Teil der Brüstung, der nicht zusammengebrochen war. Hier war in die Mauer eine Zisterne eingelassen, die sich mit Regenwasser gefüllt hatte, und er trank einige Schlucke aus einem Becher, der daneben angekettet war. Als sein Durst gestillt war, lehnte er sich gegen die
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