Im Auftrag der Rache
einer unreifen Jupe. Das Neugeborene hatte in dem Zimmer hinter der offenen Tür geschrien.
Am Ende schien ihre Mutter kaum mehr bei Bewusstsein gewesen zu sein, als Löckchen ihre Hand ergriffen und Tränen auf ihren ausgelaugten Körper geweint hatte. Nur einmal hatten ihre Blicke zueinandergefunden. Einen Moment lang hatte die Mutter ihre Tochter erkannt. Sie hatte Löckchens kleine Hand fest gepackt, bis diese vor Schmerz gebrannt hatte, und hatte sie angestarrt, als ob sie ihr in ihren letzten Sekunden auf dieser Welt noch etwas Wichtiges mitteilen wollte.
Mach etwas aus deinem Leben, meine Tochter , schien ihr Blick gesagt zu haben, als Löckchen sich später immer wieder daran erinnerte. Folge keinem anderen Weg als deinem eigenen!
Und dann war sie in den Schlaf geglitten, in den Tod – und schließlich in die Erde.
An die Jahre danach konnte sich Löckchen nur verschwommen erinnern, als ob sich ein Schleier des Vergessens über ihre Welt gelegt hätte. Nichts als flüchtige Blicke waren geblieben.
Ihr stiller und hämischer Vater war danach nicht mehr so wie früher gewesen und hatte sich ganz in seiner Arbeit als Arzt des Ortes vergraben. Löckchen hatte in einem Haus ohne Freude, Vergnügen und Lachen gelebt. Leise Schritte auf knarrenden Dielen – alle hatten sich immer nur vorsichtig bewegt. Und jenseits der Grenzen ihrer Familientrauer waren Soldaten durch das Dorf marschiert, hatten die Priester von Mhann ihre Predigten herausgeschrien und den alten Glauben verunglimpft, und die Gerüchte über Krieg und Rebellion waren wie Donner in der Ferne gewesen.
Als sie dreizehn wurde, feierten ihre Tante und ihre jüngeren Schwestern Löckchens Volljährigkeit.
Es war ihre behutsame, kluge und auf so zarte Weise schöne Tante gewesen, die Löckchen das Reifen des Mondzyklus in ihrem Körper erklärt und ihnen allen verständlich gemacht hatte, dass sie eines Tages Frauen sein würden. Auf der Feier an jenem Abend schenkte die Frau Löckchen ein einfaches Holzstück. Es war ein Teil aus einer umgefallenen Weide, wie sie erklärt hatte.
»Schnitze es heute Nacht«, sagte sie, »wenn du allein bist. Bring es hinter dich, bevor du einschläfst.«
»Was soll ich denn schnitzen?«, fragte Löckchen verwundert.
»Was immer du willst, Nichte. Was immer Wärme in dein Herz bringt.«
Als die anderen nach oben zu Bett gingen, setzte sie sich auf den dicken Teppich vor dem Kaminfeuer. Sie war ein wenig betrunken von dem Apfelwein, den sie heute zum ersten Mal hatte trinken dürfen, und mit dem kleinsten Schnitzmesser sowie dem Polierstein ihres Vaters bearbeitete sie das Stück Holz so, wie es ihr angemessen schien. Die Stunden vergingen wie im Flug; das Feuer sank nieder, bis nur noch die Asche als Erinnerung an die Wärme glomm.
Sie erwachte dort, wo sie vor dem Kamin eingeschlafen war. Es war noch Nacht. Ihre Tante nahm sie in die Arme und hob sie auf. Die Frau hatte ein Laken um sie gelegt und trug sie nun hoch zum Schlafzimmer. Löckchens Schwestern schliefen bereits tief und fest in dem anderen Bett.
»Was hast du geschnitzt?« flüsterte ihre Tante, als sie Löckchen unter die Decke legte. Löckchen öffnete die Faust und zeigte es ihr.
Auf ihrer Handfläche lag eine einfache Figur in der Größe ihres Daumens. Es war eine Frau mit plumpen, übertriebenen Kurven. Es gab wenige erkennbare Einzelheiten an diesem Schnitzwerk; die Umrisse waren nur vage ausgebildet. Aber die Brüste waren groß. Und der Bauch war geschwollen.
Ihre Tante lächelte. Und küsste Löckchen auf die Stirn.
»Deiner Mutter hätte es gefallen«, sagte sie. »Das ist wirklich ein guter Verbündeter. Sorge dafür, dass du ihn immer trägst, und er wird auf dich aufpassen, wenn du es am nötigsten hast.«
Löckchen schlief in dem Bewusstsein ein, dass sie sich für den Rest ihres Lebens an diesen Tag erinnern würde.
Später, während der kältesten Nächte im tiefsten Winter, begann ihr Vater damit, Löckchen zu besuchen, während ihre jüngeren Schwestern auf der anderen Seite des Zimmer so taten, als würden sie schlafen.
Und so veränderte sich ihre Welt abermals.
Für Löckchen war es ein Winter voller Dunkelheit und bitterer Träume, der weitere Verluste in ihrem Leben bedeutete, von denen nicht der geringste der ihres Vaters war.
Im Frühling des folgenden Jahres fanden sie ihn am Balken des Räucherhauses erhängt. Sie standen dort, alle drei Schwestern, und schauten hoch zu dem sanft sich drehenden Körper, der in
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