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Im Auftrag der Väter

Im Auftrag der Väter

Titel: Im Auftrag der Väter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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nicht in Frage«, sagte sie.
    »Nein.« Das Haus war neu, die Niemanns hatten es vor vier Jahren vom Bauträger gekauft. Das Haus, die Nachbarhäuser, die halbe Siedlung waren neu.
    »Und das Grundstück? Hat ihm früher vielleicht das Grundstück gehört?«
    »Das prüfen meine Kollegen gerade.«
    »Vielleicht ist es das«, sagte Henriette Niemann. »Das Grundstück.« Sie erzählte, woran ihr Mann unvermittelt hatte denken müssen, als er den Fremden im Garten bemerkt hatte: dass er schon immer ein Teil dieses Fleckens Erde gewesen war, dass er seit Jahren auf einen Tag wie diesen gewartet hatte, um ans Licht zu treten, ins Bewusstsein der Menschen, die hier lebten. »Eine unheimliche Vorstellung, nicht?«
    »Aber eben nur eine Vorstellung. Eine Phantasie.«
    Henriette Niemann nickte.
    Über ihren Köpfen waren Schritte zu hören, andere Geräusche, Steinle und Lubowitz verschoben Möbel, einmal lachten sie. Henriette Niemann schien nicht darauf zu achten.
    Louise sagte: »Mal von Frau zu Frau gesprochen ...«
    »Von Frau zu Frau?« Henriette Niemann lächelte. Sie schwieg einen Moment lang, dann sagte sie: »Natürlich, ich habe Träume. Nicht nur nachts. Sie verstehen.«
    Louise nickte.
    »Wenn ich allein im Laden bin, da ... Sie verstehen.«
    »Aber?«
    »Aber so bin ich nicht. So bin ich nicht erzogen. Ich bin eben anders erzogen. Ich bin mit Paul verheiratet, und etwas anderes geht eben nicht. Also vergessen Sie’s. Kein rachsüchtiger Liebhaber.«
    Louise nickte. »Aber?«
    »Kein Aber.«
    »Von Frau zu Frau.«
    »Kein Aber.«
    Louise nickte.
    »Aber ... Wie sagt dieser schreckliche Mensch? Bonì.«
    Louise lächelte.
    »Aber das bleibt unter uns, Bonì.«
    »Natürlich.«
    »Wenn die Kinder eines Tages aus dem Haus sind, gehe ich.« Henriette Niemann kniff die Augen zusammen, wirkte erschrocken. Wenn man’s mal aussprach, dachte Louise, war’s beinahe schon geschehen. War es nicht mehr rückgängig zu machen.
    »Ich bin auch gegangen. Vier Dutzend Konkurrentinnen in fünf Jahren, wer da nicht aufwacht.«
    »Das ist es nicht.«
    Louise schwieg. »Ehrlich gesagt, ich weiß nicht, was es ist.« Henriette Niemann wandte sich dem Fenster zu. Ein blauer Audi war in den Carport eingebogen. Ein Mann stieg aus, spannte einen Regenschirm auf, ging über den Vorplatz auf die
Haustür zu, ein langsamer, schmaler Mann in einer beigefarbenen Jacke unter einem karierten Regenschirm. Henriette Niemann sagte: »Vielleicht weiß ich es doch. Es ist eigentlich ganz einfach. Aber auf der anderen Seite ist es ganz, ganz schlimm.«
    »Wenn die Liebe vorbei ist.«
    »Ja, wenn die Liebe einfach vorbei ist.«

3
    SIE SASS MIT PAUL NIEMANN am Küchentisch, während Henriette Niemann frischen Kaffee machte, Lubowitz und Steinle vor der Haustür rauchten, knurrten, lachten, Mats Benedikt und Anne Wallmer auf dem Weg vom Stühlinger Kirchplatz zum Flughafen-Wohnheim für Obdachlose waren, wie Alfons Hoffmann eben telefonisch mitgeteilt hatte. Paul Niemann hatte Jacke und Schuhe anbehalten, als wollte er gleich wieder gehen. Er wirkte nachdenklich, misstrauisch, unruhig, ein Fremdkörper im eigenen Haus. Sie spürte, dass er in Gedanken weit weg war, vielleicht in Landwasser, vielleicht in der Erinnerung an Samstagnacht. Dass er nicht loskam von Samstagnacht.
    »Er könnte überall sein, Herr Niemann.«
    »Natürlich, ich weiß.«
    »Sie werden ihn nicht finden. Nicht so.«
    »Nein, vielleicht nicht.«
    »Und wenn doch? Was würden Sie dann tun?«
    »Na ja, ich würde ihn ...« Umständlich zog er eine Digitalkamera aus der Jackentasche, umständlich steckte er sie wieder ein. »Dann würde ich die Polizei informieren. Ich habe ja ... Telefonnummern bekommen.«
    Sie nickte, Paul Niemann schwieg. Er nahm die Brille ab, zog ein Taschentuch hervor. »Der Regen«, murmelte er und begann, getrocknete Tropfenränder wegzuwischen. Er sprach bayerischen Dialekt – vielleicht auch Münchner Dialekt,
falls es das gab –, bemühte sich nicht sonderlich um Verständlichkeit, als läge der Gedanke, dass ihr das Bayerische fremd sein könnte, fern. Die Überheblichkeit der Bayern, dachte sie, doch dann fiel ihr ein, was die Kollegin Hesse notiert hatte: Einer, der sich nicht akklimatisiert hatte.
    Der sich, dachte sie, in seiner Mundart wie in einer Heimat eingerichtet hatte.
    »Ich muss von vorn anfangen. Fragen stellen, die Sie schon beantwortet haben.«
    »Ja, ich verstehe.«
    »Warum glauben Sie, dass er einer von den Russen ist?«
    »Weil er

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