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Im Auftrag der Väter

Im Auftrag der Väter

Titel: Im Auftrag der Väter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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so gesprochen hat.«
    »Wie einer von den Deutschen aus Russland.«
    »Ja.«
    »Wie sprechen die? Können Sie es nachmachen?«
    Er schüttelte den Kopf, in so was sei er nicht gut, Schauspielern und Imitieren, aber er beschrieb es, lange, dunkle Vokale, und das »R« wird vorn gerollt, ich meine, mit der Zungenspitze, Sie wissen schon, wie die echten Russen, wenn sie Deutsch sprechen, das »R« und die Vokale, und dann diese besondere Sprachmelodie. »Und er hat
da
gesagt. Das russische
da.«
    Louise nickte.
Da
wie »ja«.
    Da
wie Da-Da-Davidoff.
    Jenny Böhm hatte eine Flasche Davidoff Classic in Oberberg eingeschmuggelt. Auf ihrer ersten sonntäglichen Landpartie hatte sie sie plötzlich in der Hand gehabt, beim Singen, beim Heulen. 0 , 7 Liter, wunderschöner Bernsteinton in der Frühlingssonne. Da-Da-Davidoff hatte Jenny Böhm gesungen und geheult. Louise hatte angehalten und erst die Flasche und dann Jenny Böhm aus dem Auto geworfen.
    Henriette Niemann trat an den Tisch, stellte frische Tassen vor sie, schenkte aus der Thermoskanne ein. Nicht schon wieder Kaffee, dachte Louise und bat um ein Glas Wasser. Henriette Niemann brachte das Wasser, setzte sich, blickte sie einen Augenblick zu lang an. Louise lächelte. Das mit der Liebe? Kein Wort kommt über meine Lippen.
    Versprochen?
    Versprochen.
    »Sie haben den Kollegen gesagt, dass er wie einer von den Russen geredet hat, der vor langer Zeit Deutsch gelernt und es dann lange nicht gesprochen hat.«
    Paul Niemann hob die Brille auf Augenhöhe, blickte eher nachdenklich als prüfend hindurch. »Also, das war nur so ein Gefühl.«
    »Ein sehr genaues Gefühl.«
    »Na ja, ich hatte früher im Bürgerservice mit Spätaussiedlern zu tun. Ich habe sie sprechen gehört.« Er wischte wieder an der Brille herum, und sie fragte sich, was er da eigentlich wegwischen wollte von den Gläsern.
    Sie trank einen Schluck Wasser. Glassplitter und ein bernsteinfarbenes Leuchten im Rückspiegel, Jenny Böhm, auf der Straße sitzend, die Hände vor dem Gesicht, aber die Erinnerung mochte trügen.
    Zwei Kurven, dann hatte sie kehrtgemacht. Jenny Böhm hatte als suizidgefährdet gegolten.
    Monatelang hatte sie nicht an Jenny Böhm gedacht, jetzt ging sie ihr nicht mehr aus dem Kopf.
    »Kommen wir zu dem Psalm.«
    Paul Niemann setzte die Brille auf. »Den ... Es ist ein Psalm?«
    »Psalm 9 , Vers 10 . ›Der Herr ist des Armen Schutz, ein Schutz in der Not.‹«
    »Was für ein schöner Spruch«, sagte Henriette Niemann.
    »Sind Sie religiös?«
    »Nein, überhaupt nicht. Wenn es ihm um Religion geht, hat er sich die Falschen ausgesucht. Wir gehen nicht in die Kirche, und wir kennen uns nicht aus mit Psalmen und Bibelsprüchen.«
    Louise wiederholte, was Jenny Böhm gesagt hatte. Ein Danklied, ein Schutzlied. Gott hatte die Armen und Bedrängten vor ihren Feinden gerettet, er hatte die Gottlosen und ihre Städte zerstört. Er gewährte Schutz.
    »Vor ihren Feinden.« Paul Niemann legte die Finger an die Untertasse, blickte darauf. »Was für Feinde?«
    »Keine Ahnung.«
    »Sind
wir
die Feinde?«
    »Könnten Sie es sein?«
    Er sah sie an, hob die Finger, die Brauen, die Schultern, ein Bild der Ratlosigkeit. Sie glaubte ihm die Ratlosigkeit.
    Aber das hatte nichts zu bedeuten. Sie wusste, dass sie sich von der Atmosphäre dieses aufgeräumten, fragilen Hauses hatte einfangen lassen. Eine Familie, die bald auseinanderfallen würde, eine Liebe, die vorbei war, ein trauriger, apathischer Mann, der ihr sympathisch und unsympathisch zugleich war.
    Sie empfand Mitleid, und das war ein Problem. Sie hätte nicht allein kommen dürfen.
    »Warum sollten wir seine
Feinde
sein?«, fragte Henriette Niemann. »Wir kennen ihn nicht! Wie könnten wir seine Feinde sein?«
    Louise antwortete nicht. Im ersten Stock fiel eine Tür ins Schloss. Sie hörte Steinle »Scheißdreck« sagen. Sie hörte Lubowitz lachen.
    »Ein Psalm«, murmelte Paul Niemann. Ein Psalm,
dachte sie, zitiert auf Deutsch von einem, der gebrochen Deutsch sprach. Der Psalm war wichtig für ihn, hatte Paul Niemann zu den Kollegen vom KDD gesagt. Aber nicht nur der Psalm, auch das Deutsche. Jedenfalls war es ihm so vorgekommen. Der Psalm und das Deutsche spielten eine Rolle.
    »Und wenn er einfach nur verrückt ist?«, fragte Henriette Niemann. »Ein Psychopath? Der Bibelsprüche vor sich hin sagt und sich in seinem kranken Hirn
einbildet,
wir wären seine Feinde? Wir und unsere Nachbarn und die ganze Welt? Weil er sich einbildet, dass

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