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Im Auftrag der Väter

Im Auftrag der Väter

Titel: Im Auftrag der Väter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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Tatortkombi, sah Steinle und Lubowitz beim Einpacken zu, beim Umziehen, wartete fröstelnd auf die Gnade einer Andeutung. Wie wichtig Heimat manchen Menschen war. Das, was sie als Heimat empfanden. Der Ort, aus dem sie stammten, der Dialekt, den sie sprachen, der Anblick, wenn sie morgens ins Freie traten, die Wege, die sie mit verbundenen Augen hätten gehen können. Gerüche, Geräusche, ein Geschmack. Was geschah in ihnen, wenn sie aus dem einen oder anderen Grund gezwungen waren wegzugehen? Konnte man ohne Heimat nicht leben?
    Vor ihrem inneren Auge paradierten alte Frauen mit bunten Kopftüchern, alte Männer mit Schiebermützen, aufgebrachte junge Männer ... Ein nichtdeutscher Ehegatte, der sich rächte, weil Paul Niemann ihm erklärt hatte, dass er keine Rentenansprüche geltend machen könne? Ein Spätaussiedler, dessen Führerschein nicht anerkannt worden war?
    Quatsch.
    Sie dachte, dass es für ein Gespräch mit Paul Niemann zu früh war. Sie sprach mit dem Richtigen, aber sie sprachen über die falschen Zusammenhänge. Sie brauchte mehr Hinweise.
    Sie brauchte Steinle und Lubowitz.
    »Jungs ...«, sagte sie bittend.
    »Ja, ja, ja«, knurrte Steinle und warf die Heckklappe zu. Er wischte sich die Hände an seinem durchfallbraunen Wollpullover ab, der ihm bis zu den Knien reichte. Darunter trug er eine grüne Cordhose, die Füße staken in löchrigen Socken und Adiletten. Tatortkleidung, Techniker hockten oft genug im Dreck.
    »Der Bericht, schafft ihr den bis übermorgen?«
    »Sie will einen
Bericht
.« Steinle tat belustigt, Lubowitz schmunzelte. Sie stiegen ein, Steinle ließ den Motor an. »Das wär aber ein kurzer Bericht.«
    Louise trat zwischen ihn und die Tür. »Du willst mir nicht sagen, dass ihr nichts gefunden habt.«
    Er sah sie flüchtig an. »Ich will dir gar nichts sagen.«
    »Ihr habt nichts gefunden? Überhaupt nichts?«
    »Nichts, das einen Bericht rechtfertigen würde. Gehst du mal zur Seite?«
    »Scheiße.«
    Steinle grinste. »Jetzt verstehen wir uns.«
    »So eine Scheiße.«
    »Geh zur Seite, Bonì.«
    Sie rührte sich nicht.
    »Sie ist hartnäckig«, sagte Lubowitz. Er lehnte sich in ihre Richtung. »Du bist hartnäckig.«
    Steinle nickte. »Wirklich, das bist du.«
    Louise blickte vom einen zum anderen. Sie war sich einen Moment lang nicht sicher gewesen, doch jetzt wusste sie, dass Steinle und Lubowitz eines ihrer Spiele spielten.
    Manchmal lohnte es sich zu warten.
    »Richtig hartnäckig«, sagte Lubowitz.
    »Willst du da stehen bleiben, bis es dunkel wird?«, fragte Steinle.
    »Erzählen wir’s ihr, bevor wir kein Benzin mehr haben.«
    »Er war überall«, sagte Steinle.
    Louise beugte sich zu ihm. »Überall?«
    Er nickte. Sein Blick wurde unruhig, sie waren sich plötzlich sehr nah. Die Knollennase kam ihr riesig vor, daneben weiße, großporige Raucherhaut, darüber zuckende, erschrockene Augen. Er roch nach Zigaretten, Schweiß, Moder.
    Lubowitz lehnte sich wieder vor und berichtete, jetzt sachlich und professionell, ohne den Schabernack, den die Techniker – vor allem diese beiden – so liebten. Ihr Mann war im Schlafzimmer gewesen, in den Kinderzimmern, im Bad, im Zimmer unter dem Dach, hatte auf dem Sofa vor dem Fernseher gesessen, Gegenstände berührt. Er war überall gewesen. Sie hatten nicht viel, aber ein bisschen was schon, verteilt auf das halbe Haus – Fingerabdrücke, Fasern, Erdreste, Schuhabdrücke.
    »Scheiße, ich hatte also recht.«
    »Ein bisschen«, sagte Lubowitz.
    Steinle schwieg noch immer, sah sie noch immer an, rührte sich nicht.
    »Und wie ist er rein?«
    Lubowitz zuckte die Achseln. »Tja, wie kommt man in ein Haus? Durch die Haustür.« Sie hatten sich das alte Schloss angesehen und leichte Gleit- und Kratzspuren gefunden – Draht, ein Dietrich, Werkzeug, irgendwas, womit er das Schloss schnell und gekonnt geknackt hatte.
    Sie trat einen Schritt zurück. Er war durch die Haustür gekommen, und er war überall gewesen.
    Das ist mein Haus, das ist nun mein Haus ...
    Wer
war
dieser Mann? Was ging in seinem Kopf vor sich?
    »Ihr habt da irgendwie einen unheimlichen Kerl«, sagte Lubowitz.
    Unheimlich, unberechenbar. Sie nickte.
    Steinle zog die Tür zu, bevor sie sich bedanken konnte, und gab im selben Moment Gas. Sie blickte dem Kombi nach, dachte immer noch an den Mann, bekam ihn nicht aus dem Kopf, ein Mann, der mitten in der Nacht durch ein fremdes Haus ging und sich keine Mühe gab, seine Spuren zu verwischen. Kein Penner, hatte Paul Niemann

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