Im Auftrag der Väter
sagte Louise.
»Kein Feierabend, kein Privatleben, und wenn du denkst, sie fällt gleich um vor Erschöpfung, fängt sie wieder von vorn an.«
Es klang ein wenig scharf. Ein wenig schroff. »Hört sich scheußlich an«, sagte Louise.
Mats Benedikt nickte. »Hört sich nach einer Krankheit an.«
»Ich hoffe bloß, es ist keine ansteckende Krankheit«, sagte Anne Wallmer.
Wieder ein wenig scharf, ein wenig schroff. Louise lächelte wachsam.
Anne Wallmer öffnete die Fondtür eines der Streifenwagen vom Revier Süd. »Und ich bleibe dabei, er hatte Glück. Ich meine, ein Penner und ein Fluchtplan? Ich bitte dich.«
»Mach Feierabend, Anne«, sagte Louise sanft. »Mach Privatleben.«
Anne Wallmer nickte, stieg ein, schloss die Tür. Ihr Gesicht hinter der Scheibe war für einen Moment ausdruckslos. Dann lächelte sie flüchtig und winkte.
Der Wagen fuhr an.
»Hat sie was?«
»Was soll sie haben?«, fragte Mats Benedikt.
Louise zuckte die Achseln. »Vergiss es.«
Sie dachte an die Sitzung am Morgen, an Anne Wallmers
Montagmorgenkoller. Oder hatte sie erwartet, Bermann würde
ihr
die Leitung der Ermittlungsgruppe übertragen? Doch Anne Wallmer war nicht der Typ für beruflichen Neid. Sie war nicht ehrgeizig genug. Sie hatte sich perfekt in die Strukturen eingefügt, versuchte, eine gute Polizistin zu sein, abgesehen davon, dass sie versuchte, hart und stählern wie Bermann zu sein. Bermann hatte vor Jahren das Gerücht, sie wäre lesbisch, durch Drohungen aus den Fluren der Polizeidirektion gebannt. Dafür lag sie ihm noch heute zu Füßen.
Ein Gerücht, ein Hobby, bedingungslose Hingabe an den Beruf und den Chef, viel mehr wusste man nicht über Anne Wallmer.
»Ein Fluchtplan«, sagte Mats Benedikt nachdenklich.
»Hat Zeit bis morgen, Mats.«
»Jedenfalls wäre es einleuchtend. Es würde vieles erklären, nicht nur, wie er heute Nachmittag verschwinden konnte. Auch sein Verhalten im Haus der Niemanns. Dass er keine Angst hatte, erwischt zu werden. Dass er sich nicht darum gekümmert hat, ob er Spuren hinterlässt oder nicht. Er wusste, dass er nur ein paar Meter Vorsprung braucht, um zu verschwinden.«
»Ja.«
Sie gingen zu seinem Wagen.
»Wenn du nichts dagegen hast, komme ich morgen wieder her«, sagte Mats Benedikt. Er sagte es so, als wäre er sicher, dass er morgen Antworten finden würde. Wenn einer einen Fluchtplan gehabt hatte, konnten andere diesen Fluchtplan herausfinden. So sagte er es.
Sie nickte. Sie war froh, dass er so dachte. Bei all dem Geraune in ihrem Kopf von wegen Krieger, alte und neue Heimaten, Deutsche aus einer anderen Zeit und einem anderen
Land war ihr irgendwie der Sinn fürs Naheliegende, Logische, Einfache abhanden gekommen.
Wenn einer einen Plan gehabt hatte, dann ließ sich dieser Plan erschließen. Das gefiel ihr. Es war so wunderbar nüchtern.
Mats Benedikt bot an, sie zu den Niemanns zu bringen. Sie lehnte ab. Sie wollte zu Fuß gehen, allein sein, endlich das Wort finden, das vielleicht wichtig war und sich in ihrem müden Gehirn zwischen den vielen Wörtern verbarg, die vielleicht unwichtig waren.
Allein im Nebel und der Dunkelheit auf den schmalen Grat zurückkehren, auf dem sie zu Hause war.
Und, dachte sie, womöglich nicht nur sie.
5
LANGSAM FOLGTE SIE der Straße Richtung Schönberg. Der Nebel wurde mit jedem Schritt dichter. Aus einem nahen Haus war das Geklapper von Töpfen zu hören, ein Kind lachte, ein Motor brummte. Ansonsten herrschte wieder Ruhe in Merzhausen. Die Fremden mit ihren Autos, Hunden, Hubschraubern, Fragen waren fort, die das Spektakel und die Bedrohung nach Merzhausen gebracht hatten. Manchmal sah sie in den Blicken der Menschen, mit denen sie bei Einsätzen wie diesem sprach, die Angst vor der Heimsuchung, vor dem Eindringen des Unbekannten ins Bekannte. Sie wollten die Tür schließen und schweigen, denn mit dem Polizisten kam ihnen der Verbrecher ins Haus und ins Gefühl. Spektakel und Bedrohung, Lust und Angst, erst wenn der Polizist gegangen war, herrschte wieder Ruhe. Der Polizist verkörperte den Verbrecher. War der eine fort, hörte der andere auf zu existieren.
Ganz gleich, ob er noch irgendwo im Dunkeln saß und wartete.
Ein paar Minuten lang überlegte sie, ob sie es nicht darauf ankommen lassen sollte. Ob sie sich nicht ins Dunkel setzen und warten sollte. Vielleicht besagte der Fluchtplan, dass er warten würde, bis wieder Ruhe herrschte in Merzhausen.
Sie wusste jetzt, dass sie umdenken mussten. Sie führten einen
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