Im Auftrag der Väter
asymmetrischen Krieg mit den Methoden symmetrischer
Kriege. Sie kamen mit Dutzenden Leuten, mit Hunden und Hubschraubern, mit ihrer Technik, ihren Fragen, ihren Theorien. Sie taten, was sie immer taten, weil sie davon ausgingen, dass der Mann, den sie suchten, tat, was die Männer, die sie gewöhnlich suchten, immer taten. Dabei wussten sie inzwischen, dass dieser Mann anders war.
Also überlegte sie, ob sie sich ins Dunkel setzen und warten sollte.
Aber sie war zu müde für einen asymmetrischen Krieg.
Am Ende der Straße, am Rand der Felder und Äcker, wo sie den Mann aus dem Blick verloren hatte, blieb sie stehen. Im Licht der Lampen waren nur ein Streifen Erde und weißer Nebel zu sehen und ein Paar Scheinwerfer, die sich von Osten langsam näherten. Sie hatte eine Ahnung, die Ahnung wurde bestätigt. Ein blauer Audi aus einem Carport vor einem Haus mit viel Glas und viel Holz, jetzt blieb der Audi stehen, hinter der Windschutzscheibe ein fahles, schmales Gesicht mit Brille, das nach einem Albtraum suchte und eine Kommissarin fand. Sie trat zur Beifahrertür, öffnete sie, ließ sich in die Wärme und Stille des Wageninneren sinken. Klassische Musik, der Geruch nach Feuchtigkeit, Traurigkeit, Angst, nach Fragen, wie zählt er, wann kommt er, was für Feinde ... Flüchtig berührte sie Paul Niemanns Arm mit der Hand, sagte nichts.
Landwasser, Lahr, Merzhausen, eine einsame Suche ohne Sinn, wo sollte das hinführen? Aber sie schwieg. Sie ließ sich durch den Nebel fahren, begleitet von Mozart oder Bach oder Beethoven, oder was der Chor da sang. Musik zum Ergriffensein, zum Einsamsein, dachte sie, gefährliche Musik für Menschen, die in halbverlassenen Häusern ohne
Treppen lebten, ihre Wohnungen am falschen Ende betraten und zu begreifen begannen, dass sie vielleicht doch besser hätten umziehen sollen. Dass ihnen doch nicht gleichgültig war, wo sie wie lebten.
Sie ließ den Zeigefinger über den CD -Player gleiten.
»Leiser?«, fragte Paul Niemann.
»Aus«, sagte Louise.
»Natürlich.«
Die Musik verstummte.
»Mögen Sie Brahms denn nicht?«
»Nicht, wenn ich Hunger hab.«
Sie grinste, doch Paul Niemann nickte nur, nachdenklich, als lohnte es sich, über eine solche Antwort nachzudenken. Aber dann sagte er: »Wir haben das gesungen, meine Frau und ich, als wir in München gelebt haben.« Er sah sie an. »Also, natürlich nicht diese Aufnahme ... Das Requiem, meine ich.«
»Sie waren in einem Chor?«
»Einem Kirchenchor.« Kein besonderer Chor, ein kleiner, engagierter Chor, der Chor der Lutherkirche in Giesing, dort hatten sie gewohnt, in München-Giesing, unterhalb des Giesinger Bergs, wo die Wohnungen einfach und manchmal schäbig waren und die Leute genauso einfach und manchmal schäbig, das schon, ja, aber eben menschlich, ganz einfach Menschen wie du und ich, und über ihnen auf dem Berg die mächtige Heilig-Kreuz-Kirche und in ihrem Schatten die kleine rostbraune Lutherkirche, an einer vielbefahrenen Straße gelegen, da hieß es manchmal, gegen den Verkehr anzusingen, und das hatten sie getan, gegen den Verkehr und den Alltag und die Anonymität der Großstadt angesungen ...
Sie bogen in die Straße der Niemanns ein. Der Nebel
vor ihnen wurde sonnengelb, das Glashaus war hell erleuchtet.
Musik gegen den Alltag, Licht gegen die Angst.
»Und jetzt?«
»Jetzt haben wir keine Zeit mehr fürs Singen.«
»An der Zeit wird’s nicht liegen, Herr Niemann.«
Er schwieg.
»’Tschuldigung. Ich bin manchmal so, wenn ich Hunger hab.«
»Sie müssen oft Hunger haben.«
Sie sah ihn lächeln und lächelte mit. Das Opfer und die Kommissarin witzelten miteinander wie einst die Therapeutin und die Patientin am Krankenbett im Januar null drei.
Da wusste sie, dass Anne Wallmer mit ihrem schroffen Kommentar recht gehabt hatte. Weshalb sie immer wieder von vorn anfing, wenn die anderen den Beruf ablegten und das Privatleben anzogen.
Weil Beruf und Privatleben für sie längst eins geworden waren.
Paul Niemann hielt im Carport, machte aber keine Anstalten auszusteigen. Louise hatte die Hand schon am Türgriff und zog sie zurück. Ihr war nicht wirklich nach weiteren Geschichten aus München-Giesing, doch sie spürte, dass sie jetzt wieder dicht dran war an Paul Niemann, um den sich doch alles drehte in dieser Geschichte aus Merzhausen. Also würde sie noch eine Weile zuhören.
Aber Paul Niemann schwieg.
Eine Bewegung ließ sie den Kopf wenden. Die Haustür war jetzt offen, ein Mädchen mit
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