Im Auftrag des Tigers
sie nicht?«
»Spinnst du?«
»Nimmst du mich mal auf deiner Gold Wing mit?«
»Bist du wahnsinnig?«
Tim seufzte. »Dein Haar wirkt ziemlich verschwitzt und zerdrückt.«
Verschwitzt und zerdrückt … Bernier war sauer. »Um neunzehn Uhr sind sie in meinem Büro, J.P.«, hatte der Alte am Telefon gesagt. »Und pünktlich, wenn ich bitten darf.« Aus Protest hatte er sich die Krawatte gespart und seinen wildesten Fummel angezogen. Sollte er sich einen Scheitel ziehen lassen?! Sein Blick fixierte Tims Ohr. »Hör mal, so einen Ring, hast du den auch am Pimmel?«
Tim blickte erschrocken durch den Raum. Da war nur noch ein amerikanischer Marine-Leutnant, der sich an der anderen Ecke gerade den Bart stutzen ließ.
»Ich hab' gehört, manche Tunten lieben das …« J.P. stand auf, hob die Hand, ging, ohne zu zahlen, und schwang sich auf die Maschine.
Der Geruch am Markt legte sich wie eine Decke auf ihn. Geruch nach Seafood-Ständen, nach verrottetem Gemüse und Früchten.
Er gab Gas … Der Bahnhof – eine einzige riesige Baustelle. Das Telecom-Gebäude. Dann der Busbahnhof. Nicht nur die Expreß-Busse hinauf nach Butterworth und Thailand warteten auf Fahrgäste, sondern auch ganze Kolonnen brandneuer Proton –, Nissan- und Honda-Taxis. An der Zufahrt zum Cause-Way, dem Damm, der sich über die Meerenge spannte und Malaysia mit Singapur verband, staute sich der Verkehr.
Die malaiischen Zöllner erkannten die Gold Wing. Sie winkten Bernier durch, den Bernier mit dem knalligen Drachen-Sturzhelm, den Bernier mit den flatternden Batikhosen.
Auf der Singapur-Seite ließen sie ihn absteigen. Auf der Singapur-Seite trugen Polizisten wie Zöllner Stiefel und Seiden-Halstücher. Auf der Singapur-Seite wurden Kofferräume durchsucht und Berniers Gepäcktaschen geöffnet, herrschte wie üblich gnadenlos Zucht und Ordnung: Es war ein radikaler Sprung von der Dritten Welt in einen Modell-Staat, wie es ihn sonst nirgendwo gab.
Dann wieder Gas. Die Gold Wing blaffte nicht mehr vornehm, sie röhrte.
Ein Asphalt glatt wie Seide: Woodlands. Pastellfarbene Häuserblöcke. Zeile um Zeile. Philip Wang Fus East Coast Constructions hatte die Siedlung vor zwei Jahren hochgezogen. Das Wasserwerk gleich mit dazu.
Bernier sah auf die Uhr: siebzehn Uhr zwanzig.
Ganz würde er's nicht schaffen.
Ein flacher Hang. Drüben, rechts, gespenstisch weiß im Feuchtigkeitsnebel, schimmerte das Kranji War Memorial herüber, das Denkmal für die Opfer der japanischen Besetzung im Zweiten Weltkrieg, ein schwebendes Geisterschiff im Grau. Als Beigabe das Glitzerblau der Stauseen. Und da war sie, weißschimmernd in der Umarmung ihrer Bucht, sich nach allen Seiten ausdehnend wie eine Krake: Singapur, die Löwenstadt!
Und selbst von hier konnte J.P. Bernier unter all den Wolkenkratzern den einen, silberschimmernden ausmachen, in dem er erwartet wurde: den Silver Tower …
Die einundvierzig Stockwerke unter seinen Füßen hatte Philip Wang Fu schon auf dem Reißbrett an Agenturen, Firmenniederlassungen, staatliche und private Verbände, vor allem aber auch an ausländische, westliche Wirtschaftsvertretungen vermietet.
Die Rechnung war also aufgegangen.
Gott sei Dank.
Denn selbst für den Konzern war dieses Projekt nicht ohne Risiko. Vierhundertachtundvierzig Millionen Dollar hatte der Silver Tower gekostet. Die Mieten waren zu hoch, als daß er sie sich für seine eigene Zentrale geleistet hätte.
Die Verwaltung der East Coast-Industries und der East Coast-Traders, den Hauptpfeilern des Unternehmens, zu dem auch Wang Fus malaiische Zinngruben, Hotelketten, Reedereien und regionale Luftlinien in Malaysia zu rechnen waren, befand sich noch immer in einer ziemlich schäbigen Gegend des Chinesen-Viertels hinter der New Bridge Road. Als er von Malaysia nach Singapur kam, hatte Philip dort sein erstes Büro eingerichtet und sich Grundstück um Grundstück gekauft. Zur Abwicklung der administrativen Probleme und der Führungsaufgaben hatte er eines der modernsten elektronischen Kommunikationssysteme eingerichtet, die es in Singapur gab. »Ich habe nichts gegen Kuli-Schweiß. Aber der von Managern ist unerträglich«, lautete sein Kommentar.
Auf den Silver Tower konnte er stolz sein. Und war es auch. Und daß Harry Tsi Feng ihn hier zum ersten Mal besuchte, schien ihm wie der Punkt auf dem ›I‹, wie schaffte Harry das nur? Ayeah! Seine Beziehungen zu den Finanz- und Machtzentren der Region waren so beeindruckend wie die Kapitalmengen, die er auf
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