Im Auftrag des Tigers
Knopfdruck bewegte. Harry besaß Residenzen in Macau, in Hongkong, Singapur, New York, London, der Schweiz. Dazu die Sea Queen, seine Yacht. Und eine Privat-Boeing, die ihm ständig zur Verfügung stand. Aber ihn aus irgendeinem seiner Verstecke herauszulocken, in denen er wie das Wiesel im Dunkel den nächsten Schlag vorbereitete, war eine Leistung. Und nun saß er doch im Silver Tower!
»Hübsch, wirklich hübsch.«
Harrys Hand wedelte nachlässig über schimmernde Bücherrücken, poliertes Teakholz, glänzende Lackarbeiten, über Teppiche, Marmorkamin und Seiden-Tapisserien. Sein Gesicht, ein völlig unauffälliges Gesicht, wenn man von der Hornbrille absah, so unauffällig wie der graue Anzug und die graue Krawatte, verzog sich zu einem leichten Lächeln: »Dein Stützpunkt in Johor scheint auch immer wichtiger für dich zu werden.«
»Mein Gott, wichtig? Ein Quai Looh? Brauchbar. Ja, man kann Bernier einen brauchbaren Mitarbeiter nennen. Bei manchen Problemen sogar eminent brauchbar.«
Er fuhr die Gold Wing über den Parkplatz zur Tiefgarage. Das Tor glitt lautlos in die Höhe. Tse Ho, der Garagenmeister, tauchte auf. In seiner Uniform mit dem weißen Hemd und der schwarzen Krawatte wirkte er so korrekt wie ein Börsen-Angestellter. Die Jacke rosa, die Hose grau – eine von Wangs Lieblings-Farbkonstellationen. Rosa und Grau hatte der Alte auch seinen Büro-Mädchen verpaßt.
»Oh, Mr. Bernier! Nett, wirklich nett, Sie zu sehen, Sir. Und das Ding auch!«
Zärtlich legte er die Hand auf den Metallic-Lack des Gold-Wing-Scheinwerfers. »Dort drüben, 36-b, da ist ein Platz für Sie frei, Mr. Bernier.«
Bernier stieg gab, legte den Helm auf den Sitz und ging zum Aufzug, während Tse Ho seine Verbeugung machte. Grau und rosa! Wenn du etwas in dieser Stadt haßt, dann ist es der Uniformwahn. Uniformen nicht nur für Taxichauffeure, McDonald-Verkäufer oder Telefon-Mechaniker, nein, auch für Schulkinder und Studenten. Und wahrscheinlich haben auch ihre Professoren die Uniform im Schrank.
Tse Ho hielt die Lifttüre auf. »Wissen Sie, Mr. Bernier, Motorräder waren immer mein Traum. Und der Spitzentraum war die Gold Wing. Mein Gott, wenn ich darauf mal eine Runde drehen könnte …«
»Willst du den Schlüssel?«
Tse Ho erstarrte: »Um Himmels willen, Sir, ich habe doch Dienst. Außerdem, für so was wäre ich viel zu alt.«
»Wie alt bist du denn?«
»Zweiundvierzig Jahre, Mr. Bernier.«
»Und ich vierundsechzig«, grinste J.P.
»Ja, Sie, Sir. Sie sind auch eine Ausnahmeerscheinung …«
Ausnahmeerscheinung? J.P. Bernier betrachtete sich im Spiegel, als die Kabine des Chef-Aufzugs ihn in die Kommando-Zentrale des Wang-Konzerns hochtrug. Klingt gut, nicht wahr. Aber wie läuft's denn in Wirklichkeit? Knopfdruck genügt, und du marschierst zum Chef wie jeder andere Blödmann in diesem Laden.
Einundvierzigstes Stockwerk. Er nahm den schmalen Plastikstreifen, der ihm den elektronischen Verschluß des Chef-Büros öffnete. Die angenehm trockene Kühle der perfekt abgestimmten Klimaanlage empfing ihn. Auch hier Marmor. Philips kanadischer Leib-Architekt mußte einen Marmor-Tick haben. In den Glasvitrinen vertrug sich chinesisches Porzellan aus der Ming-Zeit friedlich mit römischen Vasen. »Zivilisation war immer ein vielstimmiger Gesang«, wie Philip Wang Fu zu sagen pflegte. Man gab sich weitläufig im Wang-Fu-Konzern …
»Ah, da sind Sie ja, Mr. Bernier!«
Die Empfangssekretärin stellte ein geradezu unglaublich gut gelungenes Modell eurasischer Frauenschönheit dar. Auch darauf achtete der ›Mandarin‹. Natürlich strikt aus Gründen der Promotion. Was im Paradies vorging, wußte nur ein verschwiegener, innerster Zirkel. Die Privaträume besaßen ihren eigenen Aufzug.
Die Sekretärin sprach in ihr Telefon und lächelte bedauernd: »Er läßt Sie bitten, sich noch ein wenig zu gedulden, Mr. Bernier.«
J.P. Bernier zupfte sein grelles T-Shirt mit der Aufschrift ›Kiss me‹ zurecht, dachte flüchtig daran, daß es vielleicht doch gut wäre, Tims Rat zu folgen und sich die Haare färben zu lassen, und gab ihr das Strahlen zurück.
Dann versank er in einem Ledersessel und schloß halb die Augen. Dabei fiel sein Blick auf eine Fotografie. Er kannte sie. Vor Jahren, in den Anfangszeiten, hing sie im Privatbüro des Alten in der Spinster Street. Nun also stellte er sie als Pretiose aus?
Bei der Fotografie handelte es sich um die Vergrößerung einer uralten Vorlage aus dem letzten Jahrhundert. Das
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