Im Auftrag des Tigers
die Geschenke dagelassen, obwohl Tara und die anderen ihn buchstäblich in seinen Hubschrauber zurückgescheucht haben. Rede mit ihm!«
»Mit wem?«
»Mit meinem Schwager. Mit Tara. Er kommt morgen auf die Station …«
Tara Radan war nun dreißig Jahre alt. Er glaubte es fest, denn er hatte darüber nachgedacht. Tara hatte sich selbst mit dem Wachsen der Bäume, der Büsche und der anderen Pflanzen verglichen, die er noch aus seiner Kindheit kannte, und dann überlegt, wie lange ein Kind braucht, bis es überhaupt einen Baum wahrnimmt. Auch seine Haut sagte es ihm. Sie war überall glatt, am ganzen Körper, nur am Hals zeigten sich die ersten Kerben, dreißig schien ihm ein gutes Alter, doch die Jahre waren für ihn schwer gewesen: Nia , seine süße Geliebte, war gestorben, nachdem sie das zweite Kind zur Welt gebracht hatte, eine Tochter. Sie hatte das Kind überlebt, doch sie war schwer krank geworden, das Blut wollte nicht aufhören zu fließen, und so hatte Tara sie zuerst hinauf zur Station und von dort dann mit Hilfe des Tuan von der Tiger-Station nach Moong ins Krankenhaus gebracht.
Nia war trotzdem gestorben. Und der Tuan mußte dem Arzt viel Geld bezahlen …
Damals, als dies geschah, hatte ihn Ana, der Älteste gerufen.
Ana wollte, daß Tara Nia vergaß und nach Ungung fuhr, weil ihm einer seiner Enkel erzählt hatte, daß in Ungung ein Mann nur eine Woche für die Company Holz schälen mußte, um ein Gewehr zu erhalten. Außerdem bekäme man Coca-Cola und Essen zu jeder Arbeitsstunde geschenkt.
Eine sehr unsichere Nachricht, der Tara mißtraute. Dieses Company-Camp? Sie wußten nicht einmal den Namen, geschweige denn, wo Unun oder Ungung lag. Doch für eine Woche ein Gewehr? …
Und außerdem – wer wollte Ana schon widersprechen?
Tara packte, was er für einen langen Marsch brauchte, bereitete die Giftpfeile für das Blasrohr vor und ging hinauf zur Station im Wald, um mit dem Tuan zu reden, der dort seine Tiere hielt. Der Tuan überredete ihn, das Blasrohr bei ihm zu lassen, brachte ihn zum großen Kampong Moong und setzte ihn in einen Lastwagen, einen gewaltigen Lastwagen mit sechs Rädern. Der Fahrer nehme ihn mit bis Puley an der Küste, sagte er, und von dort sei es nicht mehr weit bis nach Ungung.
Der Tuan gab ihm auch Kniehosen und ein Hemd.
Ungung lag am Fluß, dort, wo er groß und breit wurde, ehe er sich ins Meer ergoß. Tara war nun zwar am Ziel, doch aus sieben Tagen wurden sieben Monate.
Es stimmte, er wurde zum Bäumeschälen gebraucht. Die lagen in riesigen Mengen ans Ufer gekettet. Hauptsächlich gewaltige, uralte Meranti, so viele, daß der ganze Fluß nach ihrer verfaulten Rinde stank.
Nach einer Woche ging Tara zu dem chinesischen Datuk, der im Camp die Arbeiter befehligte. Er fragte nach seinem Gewehr. Er müsse wieder nach Hause … Der Chinese lachte ihn aus. Ein Gewehr? Für ein Gewehr müsse er drei Monate arbeiten. Mindestens.
Tara dachte an Ana und blieb.
Die Arbeit war hart. Eines Tages befahl ihm der Chinese, zum Maschinisten des Bulldozers zu gehen. Der benötigte einen Gehilfen. Ein Bulldozer war die Maschine, welche sie im Wald das ›große gelbe Tier‹ nannten, weil es einen so schrecklichen Krach machte und alles zerstören konnte.
Der Maschinist hatte weiße Haut, wenn man von seinem roten Kopf absah. Er hieß John. Er kam aus einem weit entfernten Land, das Kanada hieß. Er war ein guter Mensch. Auch die Arbeit am Bulldozer war nicht so schwer, wie Tara gedacht hatte. Er begriff bald, wie man das große gelbe Tier zum Laufen bringen und es lenken konnte. Und er lernte die Sprache, die John sprach. »Lern Englisch, Junge! Was soll ich mit Senoi anfangen? Lern Englisch und du kommst durchs Leben. Alle sprechen Englisch. Nicht nur die Chinesen. Alle …«
John erklärte ihm die Worte und die Gegenstände und Tätigkeiten, die sie bedeuteten. Tara sah sich um. Er lernte auch andere Dinge. Für die Menschen im Wald war die Company etwas wie ein großer anderer Stamm, ein sehr mächtiger Stamm. Nun wußte er, was die Company war: ein Ungeheuer, das alles fraß, was es in die Finger bekommen konnte, das Bäume tötete, die Menschen betrog und ihnen das Blut aussaugte.
Ein Gewehr hatte er noch immer nicht …
»Mach dir bloß keine Sorgen, Laddy«, sagte John zu ihm. »Wenn du hier weggehst, brauchst du das gar nicht mehr. Und auch nicht dein beschissenes Blasrohr, von dem du immer erzählst, und solchen Quatsch … Wenn du hier weggehst, gehst du
Weitere Kostenlose Bücher