Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)
du meine Seele.«
»Komm schon!«, bellten die Wachen und trennten die beiden. Als einer von ihnen Leah in Richtung Thronsaal zog, versuchte David ihnen zu folgen, aber ein Speer versperrte ihm den Weg. Und als Leah sich nochmals umschaute und Davids aufgewühltes Gesicht sah, erkannte sie wie er, dass sich ihre Welt für immer verändert hatte. Ihre Träume lagen in Trümmern. Die Götter hatten sie im Stich gelassen.
Erneut erschien Zira in der Villa, diesmal in Begleitung eines Anwalts, der Avigail mitteilte, seine Mandantin habe einen Mieter gefunden.
Nach dieser Eröffnung rauschte Zira an Avigail vorbei und betrachtete den steinernen Türpfosten, auf dem Elias’ Siegel eingelassen war: ein Mann, der unter einer Weinranke saß. »Das werde ich mit dem Siegel meines Bruders überdecken, um kenntlich zu machen, dass das Haus ihm gehört«, sagte sie. »Und ihr werdet die Räumlichkeiten für den neuen Mieter herrichten.«
Zusammen mit dem Anwalt und gefolgt von Avigail ging sie daraufhin durch Zimmer und Gänge, bis sie zu Elias’ Gemach gelangte, wo sie Truhen öffnete und die Regale durchstöberte. Als sie sich einen Stapel Tontafeln vornehmen wollte, erhob Avigail Einspruch: »Die fasst du mir nicht an! Das sind persönliche Dokumente meines Sohns!«
»Jetzt gehören sie mir«, meinte Zira und reichte die Tafeln zur Begutachtung an den Anwalt weiter. Mit der Bemerkung »Das ist die, die du suchst« gab er ihr eine Tontafel zurück, die Zira daraufhin auf den Boden warf und zu Staub zertrat.
Sprachlos vor Entsetzen starrte Avigail auf den Scherbenhaufen. Um welche Tafel es sich handelte, war klar: um Elias’ Kopie der Darlehensvereinbarung mit der Bank.
»Das wirst du mir büßen.« Eiskalt klang Avigails Stimme. Jetzt ging es nicht mehr nur um sie oder die Mädchen, sondern um ihren Enkel Aaron, dem dieses Anwesen als Erbe zustand.
»Leg dich ruhig mit mir an. Dann verkaufe ich euch alle in die Sklaverei«, meinte Zira nur. »Dazu bin ich befugt, also glaube nicht, ich würde es nicht tun. Und jetzt bereitet euch auf den neuen Mieter vor. Einen Ägypter.«
Avigail wurde totenbleich, presste die Hand auf den Magen und wiederholte ungläubig: »Einen
Ägypter?
«
»Euer neuer Herr kommt aus dem Niltal. Ihr habt ihm zu gehorchen, oder ihr werdet hinausgeworfen und dürft dieses Haus nie wieder betreten.«
Avigail senkte den Kopf. Sie hatte verloren.
ZWEITES BUCH
11
Der Lärm herankommender Streitwagen und galoppierender Pferde riss sie aus dem Schlaf. Zum Schutz vor der morgendlichen Kälte in warme Umhänge gehüllt, eilten Avigail und ihre Familie zum Tor, von wo aus sie beobachten konnten, wie von Süden her Soldaten über die Hauptstraße auf die Stadt zustürmten. Ihr lederner Brustschutz über den rauen grünen Tuniken und die vertrauten Zweispänner wiesen sie als kanaanäische Krieger aus
»Was ist vorgefallen?«, rief Avigail ihnen zu.
Ein Reiter zügelte sein Pferd, hielt am Straßenrand an. »Megiddo ist gefallen!«
An seinem Kupferhelm erkannte Avigail ihn als Hauptmann. Zwei Bogen und ein Köcher mit Pfeilen hingen ihm über den Rücken. »Der Pharao hat die Stadt eingenommen, seine Armee marschiert jetzt nach Norden! Es hat viele Tote gegeben, Plünderungen haben stattgefunden. Wenn ich dir einen guten Rat geben darf – sollte der Pharao bis hierher kommen …« Mit zusammengekniffenen Augen spähte er nach Süden, so als könnte er dort bereits die Banner und Streitwagen der Ägypter ausmachen, »… dann zieh dich mit deiner Familie in den Schutz der Stadtmauern zurück. Dieses Haus und die Weinberge werden sie sich sofort vornehmen.«
Mit Blick auf die drei Frauen und die beiden Knaben, die sich verschreckt hinter Avigail drängten, fügte er hinzu: »Der Pharao nimmt alle gefangen, die sich außerhalb ihrer Wohnungen aufhalten. Er hat ein unsichtbares Netz über das Land geworfen und fängt Menschen wie Fische. Die Habiru, diese Wüstenwanderer, soll es gleich als Erste getroffen haben. Jetzt sind sie Gefangene des Thutmosis.«
Avigail schluckte. Genauso war es damals in Jericho gewesen.
»Es heißt, der Pharao braucht Arbeiter zum Bau einer neuen Stadt. Er greift sich jeden, den er erwischen kann, auch Frauen, und lässt sie nach Ägypten bringen. Die Götter seien mit euch, und beherzigt meine Worte: In der Stadt seid ihr sicherer.« Er grüßte kurz und galoppierte davon.
Avigail schaute zum grau verhangenen Himmel empor. Die feuchte Luft dieses Frühlingsmorgens
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