Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)
Stadt im Osten war Ugarit. Mochte Thutmosis jetzt auch auf dem Thron von Megiddo sitzen – in Ugarit, dem Endpunkt jener Handelsstraßen, die sich bis Mitanni und Hatti und dem Golf zogen, in den sich der mächtige Euphrat ergoss, hätte er einen Hafen, in dem Schiffe von überall her anlegten, unter seiner Kontrolle.
Es war, so ging es Leah durch den Kopf, nur eine Frage der Zeit, bis all diese fremdartigen ägyptischen Götter Dagon, Baal und Asherah ersetzten.
Megiddos königlicher Thron stand auf einer steinernen Estrade, zu der eine Treppe aus Marmor und Gold führte. Der Thron selbst war aus Ebenholz geschnitzt und so reich mit Gold verziert, dass er einen im Schein der Fackeln schier blendete. Neben ihm aufgereiht waren ausnahmslos in weiße Leinengewänder gekleidete Männer mit den für Ägypter typischen schwarzen Perücken sowie Militärs in glänzendem Bronzehelm und Brustschutz. Die Wand hinter dem Thron schmückten farbenprächtige Szenen von Schlachten und Eroberungen früherer Könige von Megiddo. Auf dem Thron selbst, auf dem Haupt die Doppelkrone von Ober- und Unterägypten, in den überkreuzten Händen den symbolischen Dreschflegel und Hirtenstab, saß Pharao Thutmosis, Nachfolger der berühmten Hatschepsut. Seine Arme und Fußknöchel strotzten vor Goldreifen, sein Halskragen glänzte in Gold und Edelsteinen. Sein Gewand war aus feinstem Leinen und umfloss fast elegant seine gedrungene Gestalt. Hinter ihm standen Sklaven mit ausladenden Fächern aus Straußenfedern.
Verblüfft starrte Leah den König an – der kein anderer war als das groteske Wesen, das Davids Verhör im Kerker belauscht hatte! Sie konnte es schier nicht fassen, dass der mächtigste Mann der Welt derart klein war, ihr schätzungsweise kaum bis zur Schulter reichte. Außerdem war er der hässlichste Mann, der ihr je begegnet war. Geradezu als abscheuerregend empfand sie ihn. Die Stirn von Pharao Thutmosis war so schmal und flach, dass sie über den dichten Brauen und den tiefliegenden Augen kaum vorhanden zu sein schien. Seine kurze Nase sah aus wie plattgedrückt, und sein Kinn wirkte im Verhältnis zu seinem Schädel eigentlich zu groß. War das überhaupt ein Mensch?, fragte sie sich, bis sich sein großer Mund bewegte.
»Man führe die Abgesandten aus Ugarit vor«, sagte er, und auch er vollführte diese eigentümliche Geste: Er hielt sich die Hand mit der Handfläche nach außen vors Gesicht und flüsterte etwas, was nicht ins Kanaanäische übersetzt wurde.
Daraufhin rief ein Höfling mit einem langen Stab: »Verbeugt euch vor dem Herrn der beiden Länder, vor dem, der Sonne und Wind befehligt, dem Beherrscher der Welt, dem König des Himmels und der Erden, dem in Pracht Strahlenden.«
»Blick senken«, zischelte Reshef den dreien in seiner Obhut zu. »Es ist verboten, dem Lebenden Gott Ägyptens ins Antlitz zu schauen.«
Pharao Thutmosis wandte sich an David, seine Worte wurden vom Dolmetscher ins Kanaanäische übersetzt: »Die Feder der Wahrheit hat dich für würdig befunden, Prinz David von Lagasch und Ugarit.«
Für einen so jungen Pharao, der, wie man wusste, kaum zwanzig Jahre alt war, klang seine Stimme überraschend tief. »Du hast uns von deinem Anstand überzeugt, Prinz David von Lagasch und Ugarit«, fuhr er fort. »Es erfüllt uns mit Befriedigung, dass du eher dein Leben hingeben würdest, als deinen Treueeid zu brechen. Deshalb betrachten wir dich als Freund und werden uns anhören, was du uns im Namen deines Königs zu sagen hast. Wenn deine Bedingungen annehmbar sind, werden wir Schriftstücke aufsetzen lassen und dich und die Geisel in Begleitung von ausgewählten hochrangigen Vertretern nach Ugarit zurückschicken. Es wäre mir eine Freude, mit König Shalaaman eine friedliche Allianz zu schmieden.«
»Majestät«, erwiderte David auf Kanaanäisch, was gleich darauf ins Ägyptische übersetzt wurde. »Meinem Herrscher ist sehr daran gelegen, mit Ägyptens mächtigem König in einen Dialog zu treten. Er ist überzeugt, dass ein freundschaftliches Abkommen erreicht werden kann. Allerdings benötigt König Shalaaman dringend seine Dämonenbetörerin, weshalb er sehr dankbar wäre, wenn deine Majestät, die für großes Mitgefühl und Wohltätigkeit bekannt ist, gestatten würde, dass diese Frau hier König Shalaaman wieder zur Seite gestellt wird.«
Leah konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich des Pharaos tiefliegende Augen unter der gewölbten Stirn wie zwei boshafte, dunkel
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