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Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)

Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)

Titel: Im Auge der Sonne: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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dessen Namen sie nicht kannte, und hielt inne, als sie ein vollbeladenes Schiff aus dem Hafenbecken ausfahren sah. Vierzig Ruder, zwanzig auf jeder Seite, hoben und senkten sich im Takt einer Trommel. Breitbeinig an der Reling stand ein Passagier und schaute direkt zu Tamar hinüber, ohne zu lächeln oder die Stirn zu runzeln oder sie irgendwie zu beachten.
    War das etwa Caleb? Nein, das konnte nicht sein, auch wenn die Ähnlichkeit mit ihm verblüffend war. Diese breiten Schultern, die mächtige Brust …
    Sie rannte auf einen Mann zu, der einigen Hafenarbeitern, die mit dem Löschen von Ladung beschäftigt waren, Befehle zubellte. »Wohin fährt dieses Schiff dort?«, fragte sie ihn.
    Er sah in die Richtung, in die ihr Finger deutete. »Zur Insel Minos.«
    »Minos! Aber da muss es ja über das Große Meer!«
    Als der Hafenaufseher ihr bekümmertes Gesicht sah und dann zu dem Mann an Deck des auslaufenden Bootes schaute, zuckte er mit den Schultern und wandte sich ab. Eine im Stich gelassene Frau mehr, befand er nüchtern. So ging es nun mal in Hafenstädten zu. Ein Mann hatte es nicht schwer, sich abzusetzen …
    Als Tamar zum Gasthof zurückkam und die Treppe hinauflief, sah sie, dass die Tür zu ihrer Kammer sperrangelweit offen stand. Drinnen hielt sich der Wirt auf und fegte den Boden. Erstaunt sah er sie an. »Ich dachte, du wärst mit ihm fortgegangen. Das Zimmer ist bereits wieder vergeben. Du musst dir was anderes suchen.«
    Caleb hatte alles mitgenommen, sogar ihre Kleidung. Nichts mehr war Tamar geblieben.
    Eine eiskalte schwarze Welle braute sich tief in ihr zusammen, wallte auf, überflutete sie, ließ ihr das Blut gerinnen, presste ihr Herz zusammen. Wie kann er es wagen, mich zu verlassen!, empörte sie sich, ohne daran zu denken, dass sie ihrerseits das Gleiche vorgehabt hatte. Sie ballte die Fäuste, atmete heftig. Erneut betrogen! Diesmal von einem anderen.
    Tamar taumelte die Treppe hinunter, blind vor Zorn und Tränen. Alles um sie schien sich zu drehen. Eine Zeitlang stand sie regungslos da und rang um Fassung.
    Dann richtete sie sich auf, strich sich die Haare aus dem Gesicht und verschloss ihre Wut tief in ihrem Herzen.
    So etwas wird nie wieder vorkommen, schwor sie sich. Nie wieder! Baruch und Caleb mochten gewonnen haben, aber keinem anderen würde das mehr gelingen. Das nächste Mal würde sie siegen. Sie würde diejenige sein, die Entscheidungen traf.
    Gegenwärtig jedoch sah sie sich vor das Problem gestellt, dass sie völlig mittellos war und keine Unterkunft hatte.
    Sie begab sich wieder zur Anlegestelle und beobachtete, wie Calebs Schiff nach Minos immer kleiner wurde, bis es schließlich nur noch ein winziger Punkt am Horizont war. Gut, dass ich ihn los bin, sagte sie sich. Ich bin noch immer die Tochter von Elias dem Winzer, Enkelin von Avigail aus Jericho, die von Ugarits geliebtem König Ozzediah abstammt. Meine Mutter kann keine Kinder mehr bekommen, Leah hat keinen Ehemann mehr, und an Esther ist keiner interessiert.
    Sie lächelte, als sie kühl berechnend überlegte und Klarheit in ihre Gedanken brachte. Ein neuer Plan stand ihr vor Augen, der Sicherheit und Geld und Ansehen versprach. Und vor allem garantierte er ihr Überleben.
    Im geschäftigen Hafen hantierten Männer weiter mit Tauen und Segeln, schleppten Lasten, lachten oder stritten sich oder stolperten aus Tavernen. So viele, die in ihrer Statur und Hautfärbung Caleb ähnelten. Es würde ganz einfach sein. Wenn ich mit einem dicken Bauch nach Hause zurückkomme – schwanger mit dem ersten Enkel –, wird Vater nichts anderes übrigbleiben, als mich wiederaufzunehmen. Ich werde ihm unter Tränen berichten, dass Caleb mich gezwungen hat, mit ihm zu gehen, dass er sich meiner bemächtigt und mich dann sitzengelassen hat.
    Leichten Schritts schlenderte sie durch das Hafenviertel, wo Tavernen auf durstige Seeleute warteten. Sie würde wählerisch sein, sich nur Männer aussuchen, die sich mit vielen Brüdern oder Söhnen brüsteten. Ich werde mich bezahlen lassen und mich so lange in einem Gasthof einmieten, bis ich mein Ziel erreicht habe.
    Die Familie wird mich mit offenen Armen aufnehmen. Und wenn ich ihrer überdrüssig bin, werde ich mich auf die Suche nach einem Leben in Wohlstand und Annehmlichkeiten begeben.

    Nobu war derart aus dem Häuschen, dass er völlig vergaß, dem Wein zuzusprechen. Deshalb lagen ihm die göttlichen Stimmen lauter denn je in den Ohren. Es war ihm egal. Er hörte ihnen weder zu, noch

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