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Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)

Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)

Titel: Im Auge der Sonne: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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Dementsprechend war ihre Älteste eine gefügige Tochter – abgesehen von dem Abend vor einem Jahr und sieben Monaten. Aber selbst Leahs damaliges Verhalten war keinesfalls egoistisch gewesen; sie hatte die Gäste doch nur aus Sorge um ihre Mutter verlassen!
    Tamar dagegen. Ihre gesamte Kindheit hindurch und auch als junges Mädchen auf ihren Vorteil bedacht, ränkeschmiedend, selbstsüchtig. Hannah liebte sie dennoch und machte sich große Sorgen um sie. Die eigene Familie zu bestehlen! Mit diesem grässlichen Mann wegzulaufen!
    Ach Tamar, mein Kind, wo steckst du …

    Sieben Monate war es her, dass sie im Olivenhain seines Vaters in Baruchs Armen gelegen und in Glückseligkeit geschwelgt, die reinste und zärtlichste Liebe erfahren hatte – bis er gesagt hatte, dass er sie nie wiedersehen werde.
    Tamar hatte gedacht, der Schmerz würde nie vergehen. Aber die Zeit hatte die Wunden geheilt – die Zeit und ihr Zusammensein mit Caleb. Von dem Moment an, da er das Haus der Familie betrat, hatte sie gespürt, dass er irgendetwas verschleierte und dunkle Absichten verfolgte. Genau das hatte sie gereizt. Und je eifriger sie sich um den Verlobten aus Damaska bemüht hatte, desto mehr war Baruch aus ihrer Erinnerung verschwunden. Als Caleb dann endlich ihren Reizen erlag, wusste sie, dass Baruch recht gehabt hatte: Sie verstand es in der Tat, Macht über Männer auszuüben.
    Als sie mit Caleb in den Weinkeller geschlichen war, um die versteckten Wertsachen ihres Vaters wegzuschleppen, hatte sie lächelnd ihre Rache ausgekostet und sich genüsslich ausgemalt, wie erschüttert ihr Vater sein würde, wenn er das Gewölbe leer vorfand. Und als sie dann auch noch Großmutters goldene Ringe eingesackt hatten! Welch ein Spaß, sich vorzustellen, wie entsetzt alle sein würden! Sie hatte es ihnen allen gezeigt!
    Das Hochgefühl hatte angehalten, solange sie mit Caleb auf der Suche nach einer Karawane in Richtung Süden unterwegs gewesen war. Sie hatten sich Esel zugelegt, am Wegesrand genächtigt, sich leidenschaftlich und begierig unter den Sternen geliebt.
    Mittlerweile jedoch war sie seiner Gesellschaft überdrüssig geworden. Jetzt, da sie wusste, wie geschickt sie einen Mann zu verführen verstand, und ihr klarwurde, dass sie alle Männer haben konnte, die ihr gefielen, wollte sie eigene Wege gehen. Nach Norden, überlegte sie, in die sagenhafte Stadt Ebla. Oder vielleicht weiter nach Osten, wo viele reiche Männer zu finden waren.
    Stattdessen aber folgten sie weiter der Küstenstraße nach Süden, in Richtung Sidon und zu weiter im Landesinneren gelegenen Städten – Har Megiddo, Jerusalem, Jericho –, wo sie gar nicht hinwollte! Deswegen war sie heute Morgen gleich nach dem Aufwachen aufgestanden – ohne Caleb zu wecken, mit dem sie sich in einem Gasthof am Hafen ein Zimmer teilte – und hatte sich zur Karawanserei im Norden der Stadt aufgemacht, wo sie einen Händler ausfindig machen wollte, der nach Norden zog und dann weiter nach Osten. Zu einem neuen Leben.
    Ihre Suche war erfolgreich gewesen! Händler aus Jerusalem, die Papier, Leinen und Lapislazuli aus Ägypten mit sich führten, waren bereit, sie mitzunehmen. In Jerusalem, dem nördlichen Endpunkt mehrerer Handelsrouten aus Ägypten, wurden Waren mit weiter nach Norden ziehenden Karawanen getauscht. Auch Nachrichten brachten die Karawanen mit – Gerüchte über die besorgniserregende Verschlechterung von Königin Hatschepsuts Gesundheitszustand. Es sei nicht auszuschließen, hieß es, dass ihr Stiefsohn die Krone Ägyptens übernehmen werde. Und dass der junge Thutmosis die Unterwerfung Kanaans ins Auge fasse.
    Für Politik hatte Tamar nichts übrig. Übermütig eilte sie zum Gasthof am Hafen zurück, wo, wie sie annahm, Caleb noch immer schnarchte. Er schlief oft sehr tief, vor allem, wenn er am Abend zuvor zu viel trank – und sie hatte dafür gesorgt, dass gestern sein Becher nicht leer wurde! Auf ihrer Flucht aus Ugarit hatte er die Schätze ihres Vaters an Kaufleute verhökert, die keine Fragen stellten, und die sperrigen Pokale und Teller und Statuen in handlichere Ringe aus Gold und Silber eingetauscht. Diese Ringe wollte Tamar an sich nehmen, wieder zurück zur Karawane eilen und längst auf dem Weg nach Norden sein, wenn Caleb wach wurde!
    Da der Herbstwind, der vom Meer kam, kalt war, zog sie ihren Umhang fester um sich. Beim Weitergehen warf sie einen Blick auf die Boote und Schiffe in dem kleinen Hafen, der zu einem Fischerdorf gehörte,

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